Eigentlich empfehlen wir bei Courage regelmäßig, fürs Alter vorzusorgen – damit man nicht in finanzielle Not gerät. Doch beim Thema Pflegeversicherung zeigt sich ein paradoxer Effekt: Wer über Jahre Rücklagen gebildet und beim Ausgeben Verzicht geübt hat, steht im Pflegefall nicht besser da als jemand, der nie gespart hat.
Nehmen wir zwei Frauen gleichen Alters und Einkommens:
Da ist Frau Müller. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet, Überstunden gemacht, auf Urlaube verzichtet und ihr Häuschen am Stadtrand abbezahlt. Nun ist sie so pflegebedürftig, dass ein Umzug ins Heim unvermeidbar wird. Bevor der Staat hilft, muss sie ihr Erspartes einsetzen. Reicht das Geld nicht aus, bleibt auch ihr Eigenheim nicht verschont. Wenn Frau Müller dauerhaft im Pflegeheim bleibt, betrachtet das Sozialamt das Haus als verwertbares Vermögen. Und kann verlangen, dass es verkauft wird, um die Pflegekosten zu decken. Nur wenn zum Beispiel ein Ehepartner im Haus bleibt, kann es geschützt bleiben.
Und da ist Frau Schneider, im gleichen Alter. Auch sie hat fleißig gearbeitet, doch sie lebte ihr Leben anders: Reisen, Kultur, gutes Essen – ihr Geld sollte Freude bringen. Rücklagen gibt es nicht. Nun sitzt sie im selben Pflegeheim wie Frau Müller und erhält die gleiche Versorgung – der Staat übernimmt die Kosten von Anfang an.
Hier treffen zwei Lebensentwürfe aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und doch im gleichen Pflegeheim zusammentreffen. Der Preis dafür ist allerdings ungleich verteilt: Die Sparsame zahlt zuerst selbst, die andere wird sofort unterstützt.
Viele Familien erleben, wie schnell sich Ersparnisse auflösen: 3.000 Euro Eigenanteil pro Monat, manchmal mehr. Jahrzehntelang aufgebautes Vermögen ist nach vergleichsweise kurzer Zeit verschwunden. Nur ein kleines Schonvermögen von 10.000 Euro bleibt erhalten.
Diese Regelung wirft eine Gerechtigkeitsfrage auf. Wie uns der Staat im Alter behandelt, darf nicht am individuellen Verhalten in den Jahrzehnten davor festgemacht werden – vielmehr muss die Struktur des Systems in den Blick genommen werden. Könnte die Pflegeversicherung nicht anders organisiert sein – etwa durch eine verpflichtende, kapitalgedeckte Versicherung, die die tatsächlichen Kosten abdeckt? Auch hier ist vielleicht Hilfe nötig, die Bestandteil eines reformierten Bürgergelds werden könnten – aber das Trittbrettfahrerproblem hätte man beseitigt.
Klar ist: Niemand möchte im Alter auf Hilfe angewiesen sein, erst recht nicht auf ein Pflegeheim. Vorsorge bleibt daher sinnvoll – sie gibt Sicherheit und oft auch die Möglichkeit, lange in den eigenen vier Wänden zu leben. Doch solange die Pflegeversicherung so ausgestaltet ist wie heute, bleibt die Frage: Ist es gerecht, dass Sparsamkeit im Pflegefall zum Nachteil werden kann?
Bleibt zu hoffen, dass die Politik erkennt: Wer spart, sollte im Alter nicht der Dumme sein.