„Wir suchen Unternehmen, die ihren Wert in fünf Jahren verdoppeln“

Foto: Zhang Qian
Foto: Zhang Qian

Qian Zhang, Schwellenländerexpertin bei der Investmentgesellschaft Baillie Gifford, spricht im Interview über den rasanten Wandel der chinesischen Volkswirtschaft und attraktive Anlagechancen im Reich der Mitte.

Von Peter Gewalt

Courage: Frau Qian Zhang, wie dramatisch wirkt sich der von den USA ausgehende Zollstreit auf die Wirtschaft und die börsennotierten Unternehmen in China aus? Sie machen im Baillie Gifford Worldwide Asia Ex Japan immerhin rund 36 Prozent des Portfolios aus?

Qian Zhang: Wir denken, dass sich die Zölle für Chinas Rolle im Welthandel weitaus weniger dramatisch auswirken als viele denken.

Weshalb?

Da gibt es gleich mehrere Gründe. Die Neuorganisation der Liefer- und Wertschöpfungsketten hat schon vor Trump begonnen. So haben chinesische Unternehmen schon länger einen wachsenden Teil ihrer Produktion in andere Länder, etwa in Südostasien, verlegt, wo weniger Zölle anfallen. Zudem sind die Lohndifferenzen zwischen den USA und den Schwellenländern weiterhin so groß, dass der negative Impact der Zölle auf die Preise der Waren häufig kaum ins Gewicht fällt. Und wie in anderen Emerging Markets erzielen börsennotierte chinesische Unternehmen 70–80 Prozent ihrer Gesamtumsätze auf dem Heimatmarkt. Da hilft es, dass sich auch die Präferenzen der chinesischen Konsumenten ändern. Es dominieren nicht mehr westliche Marken wie Nike, Starbucks oder BMW den Markt. Inzwischen sind chinesische Marken heiß begehrt.

Und wie wirken sich die Sanktionen gegen den Export bestimmter Halbleiterchips nach China aus?

Westliche Beschränkungen bei der Halbleiterherstellung haben zu einer engeren Zusammenarbeit von chinesischen Halbleiterunternehmen geführt, sodass sich erste inländische Marktführer abzeichnen.

Ein allgemeiner Trend?

Ja, chinesische Unternehmen werden auf globaler Ebene zunehmend wettbewerbsfähiger. Sie entwickeln sich von Herstellern billiger Waren mit wenig Wertschöpfung zu Marktführern in einer Reihe global wichtiger Branchen.

Was sind denn die wichtigsten Treiber der chinesischen Wirtschaft?

Wir sind Stock-Picker und investieren nicht in Top-Down-Trends. Wir sind auf der Suche nach wachstumsstarken Unternehmen, die das Potential haben, zu den wenigen Ausreißern eines Marktes zu werden. Aber wenn wir einmal die Makro-Brille aufsetzen, können wir klar erkennen, dass China sich in einem Transformationsprozess befindet, in dem die alten Wachstumstreiber durch neue ersetzt werden. Die Immobilienwirtschaft machte vor sechs Jahren noch 25–30 Prozent des BIPs aus, heute sind es nur noch 15 Prozent.

Und welche Branchen sind die neuen Wachstumstreiber?

Advanced Manufacturing, die Batterie-, Halbleiter- Elektrofahrzeug- und Solarpanelindustrie sowie Robotics, um nur einige zu nennen. In diesen Branchen gibt es neben starkem Wachstum eine Menge Innovationen und viel privates Unternehmertum. Hier finden wir daher eine große Anzahl interessanter Wachstumsunternehmen. Dieser Trend ist übrigens auch ein Ergebnis einer neuen Wirtschaftspolitik der Regierung in Peking.

Inwiefern?

Diese Transformation wurde auch angestoßen, durch eine Top-Down-Politik, die seit September letzten Jahres mit einer koordinierten Initiative sowohl von der monetären als auch von der fiskalischen Seite stark auf Wachstum durch die Privatwirtschaft setzt. Das ist ein ganz anderer Ansatz als die Jahre zuvor, als die staatliche Einflussnahme etwa im Internetsektor den Wirtschaftsmotor gebremst hat. Diese deutliche Veränderung zeigt sich auch daran, dass Staatspräsident Xi Jinping im Februar 2025 die Chefs der wichtigsten Internetplattformen wie Alibaba-Gründer Jack Ma getroffen hat.

Woher kommt der Sinneswandel?

Die Führung hat erkannt, dass es ohne die Privatwirtschaft nicht möglich sein wird, China zu einer wirtschaftlichen Supermacht weiterzuentwickeln. Immerhin macht die chinesische Privatwirtschaft heute schon 50 Prozent des BIP, 60 Prozent der Steuern, 70   Prozent der technologischen Innovationen und 80 Prozent aller Jobs in China aus.  Zudem haben die chinesischen Haushalte nach Corona zehn Billionen US-Dollar an Sparguthaben angehäuft, die es zu heben gilt.

Im Baillie Gifford Worldwide Asia Ex Japan sind chinesische Aktien aber nur ein wenig übergewichtet. Weshalb?

Nicht wegen der Zölle, sondern aus Gründen des Risikomanagements. Wir berücksichtigen etwa die Regierungsbesonderheiten in China, die wie in der Vergangenheit negativ für Unternehmen ausfallen können, den starken Wettbewerb im Land  und andere nicht- finanzielle Aspekte. Trotzdem ist die Gewichtung Chinas in unserem Fonds deutlich höher als im MSCI World All Countries Index. Und das ist auch richtig so

Inwiefern?

Schwellenländer machen nur zehn Prozent im MSCI World All Countries Index aus, obwohl sie für die Hälfte des Welt-BIP-Wachstums verantwortlich sind. Auch aus Bottom-up-Sicht zeigt sich dieses Missverhältnis. So sind zwei Drittel aller Unternehmen, die im Jahr um mindestens 20 Prozent wachsen, aus den Schwellenländern. Davon stammt wiederum ein Drittel aus China; der chinesische Aktienmarkt ist im MSCI ACWI aber gerade mal zwischen drei und vier Prozent aus gewichtet sind. Ein vielleicht noch eingängigerer Vergleich: Alle chinesischen Börsen-Unternehmen zusammen haben im Index nur soviel Gewicht wie Apple. 

Wie sehen Sie als Stock-Picker die Situation Indiens, das ja zuletzt zu den Lieblingen der Anleger  gezählt hat?

Dort finden wir eine gegensätzliche Situation zu China vor. Wir haben Indien untergewichtet. Zwar sind die Makro-Aussichten sehr gut, aus einer Bottom-up-Perspektive sind viele Small- und Medium-Caps jedoch zu hoch bewertet. Aber wir verfolgen den Markt sehr genau, da das Land dank der technischen und digitalen Fortschritte im Land in den vergangenen fünf bis zehn Jahren künftig sehr interessante Perspektiven bietet. 

Welche Kriterien müssen die Unternehmen denn erfüllen, damit sie in ihre Portfolios aufgenommen werden?

Generell sollten wir der Meinung sein, dass die Unternehmen ihre Marktkapitalisierung in fünf Jahren in etwa verdoppeln können. Das heißt umgerechnet, dass die Unternehmen im Portfolio ihre Gewinne jedes Jahr um 15 Prozent im Jahr steigern. Das ist allerdings in den meisten Fällen kein geradliniger Prozess. 

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