Während in Deutschland Tausende Brücken marode sind, Familien nach bezahlbarem Wohnraum suchen, Kitas unter Personalmangel leiden und eine Anhebung des Renteneintrittsalters diskutiert wird, soll nun ein neues Gebäude für den Bundespräsidenten errichtet werden – in Holzbauweise.
Hintergrund ist die umfassende Sanierung von Schloss Bellevue und des dazugehörigen Verwaltungsgebäudes des Bundespräsidialamts inklusive Hauptwache und Parkanlage.
Doch wohin soll der Bundespräsident während der Bauarbeiten? Zelten war für den Bundespräsidenten natürlich keine ernsthafte Alternative. Die Antwort: Auf ein bundeseigenes, rund 4.000 Quadratmeter großes Grundstück in bester Berliner Lage – nur einen Kilometer vom bisherigen Amtssitz entfernt, direkt neben dem Kanzleramt und dem Bundesinnenministerium. Der Marktwert dieses Grundstücks wird auf über 55 Millionen Euro geschätzt. Dort soll ab Frühjahr 2026 ein Interimsgebäude entstehen. Die Kosten: rund 205 Millionen Euro.
Offiziell wird der Neubau als „Bürogebäude für Bundesbehörden“ bezeichnet. Nach der Nutzung durch das Bundespräsidialamt soll er „grundsätzlich“ auch anderen Bundesministerien zur Verfügung stehen – konkrete Pläne dafür gibt es jedoch nicht. Die Nutzfläche entspricht nahezu exakt der des bisherigen Verwaltungsgebäudes. Kritiker fragen, warum offenbar nicht geprüft wurde, ob sich Teile des Personals – insbesondere Bereiche ohne hohe Sicherheitsanforderungen – auslagern ließen. Zumal das Bundespräsidialamt selbst bestätigt: „Das mobile Arbeiten (Homeoffice) hat sich als fester Bestandteil der Arbeitsabläufe etabliert und bewährt.“
Parallel dazu läuft ein weiteres Milliardenprojekt: die Erweiterung des Bundeskanzleramts. Schon jetzt ist es mit über 25.000 Quadratmetern größer als das Weiße Haus in Washington oder der Élysée-Palast in Paris. Und weil die Demokratie hierzulande offenbar mehr Platz braucht, soll es nun verdoppelt werden – weil die Zahl der Beamten stetig steigt. Die geplanten Baukosten: 777 Millionen Euro, fast 300 Millionen mehr als ursprünglich budgetiert. Insgesamt fließen damit rund 1,5 Milliarden Euro in Regierungsbauten.
Natürlich ersetzt jeder Euro, der in Regierungsgebäude fließt, nicht automatisch eine Kita oder eine Brücke. Doch ein Vergleich verdeutlicht die Dimension: Mit 205 Millionen Euro könnte man – auch wenn das nicht alles Bundesangelegenheiten sind – folgendes bewirken:
- rund 1.000 Sozialwohnungen bauen (bei Ø 200.000 € pro Einheit) oder
- über 8.000 neue Kita-Plätze schaffen (ca. 25.000 € pro Platz) oder
- 40 bis 200 kleinere marode Brücken sanieren – je nach Zustand und Komplexität oder
- etwa 590 Einfamilienhäuser in Holzbauweise errichten: Ein Standardhaus mit 150 m² Wohnfläche kostet rund 345.000 €. Je nach Ausstattung schwankt die Zahl zwischen 550 und 760 Häusern
Mit den geschätzten 500 Millionen Euro für die Sanierung von Schloss Bellevue könnte man:
- bis zu 2.500 Sozialwohnungen errichten oder
- 20.000 neue Kita-Plätze schaffen oder
- eine halbe Rheinquerung wie die Leverkusener Brücke finanzieren (Kosten: rund 800 Millionen Euro)
Die 1,5 Milliarden Euro für Regierungsbauten sind also keineswegs abstrakte Zahlen im Bundeshaushalt. Jeder Euro, der hier gebunden wird, fehlt an anderer Stelle – und die Folgekosten können erheblich größer sein als die Konsequenzen, wenn Bundespräsident und Kanzler mehr Mitarbeiter ins Homeoffice schicken würden.
Wie dramatisch unterlassene Investitionen wirken können, zeigt das Beispiel der Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid: Seit ihrer Sperrung im Dezember 2021 ist die Region vom Fernverkehr abgeschnitten. Die Folgen: Dauerstaus, Umsatzeinbußen, Firmenschließungen – ein volkswirtschaftlicher Schaden von 1,8 Milliarden Euro laut Institut der deutschen Wirtschaft. Allein der Ausweichverkehr verursacht Zusatzkosten von 1,2 Milliarden Euro, hinzu kommen Standortverluste in Höhe von 600 Millionen. Jeder weitere Tag Bauverzögerung kostet eine Million Euro – pro Tag.
Natürlich braucht der Bundespräsident während der Sanierung einen funktionalen Amtssitz. Niemand erwartet, dass er im Zelt übernachtet.
Aber bei 205 Millionen Euro darf man schon sagen: „Mein Gott, Walter“!