Schlechte Augen, Schwindelanfälle oder steifer Nacken: Sie fühlen sich nicht mehr so sicher am Steuer wie früher? Ein Verkehrspsychologe und eine Pharmazeutin sagen, wie es nun weitergehen kann.
Autofahren – das bedeutet für viele Menschen weit mehr, als nur von A nach B zu gelangen. Es ist die Freiheit, die liebe Freundin in der Nachbarstadt spontan auf einen Kaffee zu besuchen, Besorgungen und Arzttermine ohne Hilfe zu erledigen. Kurz: Unabhängigkeit – vor allem für diejenigen, die nur schwer auf Bus oder Bahn ausweichen können, etwa weil sie auf dem Land leben.
Kein Wunder, dass es vielen schwerfällt, den Gedanken zuzulassen, dass das Kapitel Autofahren auf ein Ende zusteuern könnte. Auch dann, wenn man spürt: Es fährt sich mit zunehmendem Alter immer schlechter.
Dass der Führerschein – und vor allem der Gedanke an den Abschied von ihm – mit vielen Emotionen behaftet ist, weiß auch Thomas Wagner, Verkehrspsychologe bei der Dekra. Er kennt Untersuchungen, die zeigen konnten: «Die Belastung, die durch den Verlust des Führerscheins ausgelöst wird, ist ähnlich wie die bei dem Verlust eines nahen Angehörigen oder eines Arbeitsplatzes.» Nicht selten verschlechtert sich sogar der Gesundheitszustand, es können sich Symptome einer Depression entwickeln.
Wie sicher sind Ältere auf den Straßen unterwegs?
Ältere sind natürlich nicht per se ein Risiko für den Straßenverkehr – aus verschiedenen Gründen. «Ältere Fahrer haben eine deutlich niedrigere Risikobereitschaft als jüngere Fahrer», sagt Thomas Wagner. Auch Drogen und Alkohol am Steuer sind bei ihnen seltener ein Problem.
Und: «Ältere haben über die Jahre viel Fahrerfahrung gesammelt», sagt Theresa Bödefeld. Sie beschäftigt sich als Pharmazeutin am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Essen auch mit dem Autofahren im Alter. Die vielen, vielen Stunden am Steuer können die Schwächen zu einem Teil auffangen.
Viele Ältere finden zudem kreative Lösungen, wenn ihre Fahrsicherheit nachlässt. «Das hören wir durchaus öfter, dass zum Beispiel die Ehefrau auf dem Beifahrersitz quasi ein weiteres Auge oder ein weiteres Ohr ist», sagt Thomas Wagner. Was er ebenfalls beobachtet: Vielen Älteren ist es ein Anliegen, gut auf sich selbst aufzupassen. «Das ist auch am Steuer eine positive Ressource.»
Warum lässt die Fahrsicherheit im Alter oft nach?
«Mit dem Alter steigt die Zahl der Menschen, die aufgrund von Erkrankungen Einschränkungen haben, was sich auf ihre Sicherheit am Steuer auswirkt», sagt Theresa Bödefeld. Ein Beispiel hier: Demenz.
Und auch normale Alterungsprozesse können das Autofahren beeinflussen. «Unser Nervenzellen-Kostüm wird im Alter schlechter. Informationen werden nicht mehr so schnell übertragen», sagt Verkehrspsychologe Wagner. In der Folge braucht auch die Reaktion auf den Straßenverkehr länger – das Bremsen, das Kuppeln, das Lenken.
Dieser Abbau setzt Wagner zufolge ab dem 70. Lebensjahr ein. «Wir haben festgestellt, dass ab dem 75. Lebensjahr der Anteil selbst verschuldeter Unfälle signifikant ansteigt», sagt der Verkehrspsychologe.
Ein großes Thema beim Autofahren im Alter: Medikamente und ihre möglichen Nebenwirkungen. «Leber und Niere funktionieren im Alter schlechter. Das heißt: Arzneistoffe werden schlechter abgebaut oder verstoffwechselt. Daher kann es zu Nebenwirkungen kommen, die es bei Jüngeren nicht gibt», sagt Bödefeld. Hinzu kommt, dass Ältere nicht selten fünf, vielleicht sogar zehn unterschiedliche Medikamente am Tag einnehmen. Da drohen Wechselwirkungen.
Welche Medikamente können auf die Fahrsicherheit schlagen?
Pharmazeutin Bödefeld zufolge sind derzeit circa 100 000 Arzneimittel in Deutschland zugelassen. Etwa 20 Prozent von ihnen können die Fahrsicherheit beeinträchtigen.
Das sind etwa Wirkstoffe, die den Blutdruck unter Kontrolle bringen sollten. «Da kann es passieren, dass sie den Blutdruck stärker als beabsichtigt senken. Es kann also zu Schwindel kommen und zu Veränderungen im Reaktionsvermögen», erklärt Bödefeld.
Was nicht überrascht: Auch Wirkstoffe, die beruhigend und schlaffördernd wirken, etwa Benzodiazepine, vertragen sich nicht gut mit dem Autofahren. Das gilt auch für starke Schmerzmittel, also Opioide.
«Übrigens können auch frei verkäufliche Mittel die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen», sagt Theresa Bödefeld. Zum Beispiel Grippemittel, die gleich gegen mehrere Beschwerden wirken sollen. In solchen Präparaten kann der Wirkstoff Diphenhydramin zum Einsatz kommen. In Hustenstillern kann außerdem Dextromethorphan stecken – beides Wirkstoffe, die das Reaktionsvermögen vermindern und Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit und Konzentrationsstörungen auslösen können.
Auch Augensalben können unsicherer am Steuer machen. «Das liegt an der Konsistenz einer solchen Salbe, die sich erst einmal auf das Auge legt – und dann sieht man womöglich verschwommen, ganz unabhängig vom Wirkstoff», sagt Bödefeld.
Wie stelle ich selbst fest, wie sicher ich am Steuer bin?
Theresa Bödefeld rät, das eigene Fahrverhalten regelmäßig zu reflektieren. Vielleicht gab es Situationen, in denen es fast gekracht hätte, weil man sich etwas benommen gefühlt und dementsprechend mit Verzögerung reagiert hat? «Es gibt ja oft Strecken, die man regelmäßig fährt – und da kann man sich fragen: Fahre ich die immer noch genauso sicher wie früher? Oder werden sie für mich immer schwieriger und anstrengender?»
Verschlechtert sich das Hören oder Sehen, fällt das Betroffenen meist selbst schnell auf. «Ich merke ja, ob ich das Schild gut erkennen kann – oder ob ich die Augen zukneifen muss», sagt Thomas Wagner. Gut möglich, dass man auch feststellt, dass das Gehirn Informationen langsamer verarbeitet: «Man fährt vielleicht an Kreuzungen langsamer heran, vielleicht hupt sogar von hinten immer wieder jemand», nennt Wagner typische Situationen.
Um aus Beobachtungen wie diesen für sich Konsequenzen zu ziehen, braucht es eine ehrliche und realistische Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten und ihrem Nachlassen. Und die fällt vielen schwer, wie Thomas Wagner berichtet – eben, weil am Führerschein so viel Unabhängigkeit hängt.
Ich werde unsicherer am Steuer. Was bedeutet das jetzt?
Das muss nicht bedeuten, dass man das Autofahren und den Führerschein direkt komplett aufgeben muss. Hilfreich bei der Antwort auf die Frage, wie es nun weitergehen kann, ist ein Blick von außen. Der ADAC, die Technischen Überwachungsvereine (Tüv) oder Dekra bieten Fitness- oder Mobilitätschecks für ältere Menschen am Steuer an. Die Anbieter weisen darauf hin, dass die Empfehlungen und Ergebnisse dieser Checks nicht verpflichtend sind und streng vertraulich bleiben, also nicht an Behörden oder andere Menschen gemeldet werden.
Wer ein Medikament im Verdacht hat, das die Ursache für die Unsicherheiten sein könnte, der sollte es laut Theresa Bödefeld nicht auf eigene Faust herunterdosieren oder gar absetzen. Der bessere Weg ist das Gespräch mit der Ärztin oder dem Apotheker. Vielleicht gibt es einen alternativen Wirkstoff, vielleicht lässt sich die Dosis anpassen – und somit etwas mehr Sicherheit am Steuer zurückholen. Dresden/Essen (dpa/tmn/cw)