Dieter Nuhr im Courage-Interview: Ist Ihre Kunst eine Form von Protest?

Foto. Dieter Nuhr ©Karen Gritizsch
Foto. Dieter Nuhr ©Karen Gritizsch
Werbung

Dieter Nuhr gilt seit Jahrzehnten als einer der scharfzüngigsten Satiriker Deutschlands. Für viele immer noch unbekannt ist sein zweites Leben als bildender Künstler. Im Bayerischen Nationalmuseum in München stellt er bis zum 8. Dezember mit Unterstützung der Brost-Stiftung einige seiner Bilder unter dem Motto „Woanders ist überall“ aus. Kuratiert wird die Ausstellung von Dirk Geuer, Stifter und Gründer der „Association for Art in Public“.

Courage traf Dieter Nuhr anlässlich der Vernissage zum Gespräch.

Courage: Ihre Bilder eröffnen einen sachlichen und dennoch oft melancholischen Blick auf die Rätselhaftigkeit des Daseins. Nach Ihrem Studium der Kunstgeschichte und Fotografie wollten Sie die Welt zum Lachen bringen. Hat Ihre Arbeit als Comedian Sie „zurückgeworfen“?

Dieter Nuhr: Nein, ich habe immer Kunst gemacht – allerdings mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dann kam irgendwann ein Galerist zu mir nach Hause, bei dem ich etwas gekauft hatte, und er fragte, wer die Bilder gemacht habe, die da an der Wand hingen – es waren meine. Er wollte sie dann ausstellen, und dann ist das schneeballartig losgelaufen. An meiner Arbeit hat sich eigentlich wenig geändert; sie wird in der Öffentlichkeit jetzt nur wahrgenommen. Und das ist natürlich sehr schön, und da freue ich mich drüber.

Ihr Schwerpunkt liegt auf konzeptueller Fotografie, die sich mit Themen wie Fremde und Vertrautheit, Ferne und Nähe auseinandersetzt. Sie verreisen viel, gibt es in Deutschland nichts mehr zu sehen?

Doch, aber ich versuche, meinen Lebensraum ganz zu erkunden. Und es ist immer gut, wenn man den Horizont ein bisschen erweitert. Da mein Lebensraum – ich bin ja in einer globalisierten Zeit aufgewachsen – die Welt ist, habe ich versucht, die Welt kennenzulernen, und das mache ich immer noch. Hier sind sehr viele Bilder aus Asien, aber ich bin auch viel in Afrika unterwegs gewesen, in Nord- und Südamerika. Dieser Versuch, alles kennenzulernen, ist vielleicht zum Scheitern verurteilt, weil die Welt dann doch ein bisschen zu groß ist. Viele Ecken kann man nicht erreichen, aber ich war immerhin in vielen Gebieten, die man heute nicht mehr erreichen kann – im Jemen, im Sudan, in Mali oder was weiß ich. Aber wie war die Frage – ob ich zurückgeworfen wurde?

Nein, ob es in Deutschland nichts zu sehen gibt….

Doch, ich stelle hier auch Bilder aus, die auf Fotographien aus meiner Heimat fußen.

Welche Ziele haben Sie noch auf Ihrer Bucket-List?

Die ist so riesengroß, das werde ich im Leben nicht mehr schaffen. In Zentralasien fehlen mir noch ein paar Länder, die ich unbedingt gerne besuchen möchte – Turkmenistan, Usbekistan und so weiter und so fort. Da war ich noch nicht. Und ich will immer wieder nach China. Ich war zwar schon mehrmals dort, aber China ist riesengroß, da gibt es noch einiges kennenzulernen. Außerdem ist es vom Essen her das erfreulichste, was man so auf Reisen erleben kann.

Sie haben ja auch schon in China ausgestellt…

Ich habe in China relativ viel ausgestellt, das ist dann durch Corona und durch die Klimaveränderung im zwischenstaatlichen Bereich ein bisschen ins Stocken geraten, aber ich werde auch wieder in China ausstellen. Allerdings ist alles ein bisschen mühsamer geworden, seit wir uns jetzt in dieser Zwischenwelt zwischen USA und China befinden. Das ist ja die neue Konfliktsituation, die wir haben, und da wird das auf Dauer wahrscheinlich eher etwas schwieriger werden. Wir laufen Gefahr als Europäer zerrieben zu werden.

Auch als Künstler?

Ja, auch der Kontakt im künstlerischen Bereich leidet darunter. Aber ich nehme auch wahr, als wenn es sich langsam wieder öffnen würde. Plötzlich stellen sich Kontakte wieder her, man spricht wieder ein bisschen mehr. Ich habe das Gefühl, dass es sich gerade ein bisschen verbessert, aber das ist nur ein Gefühl.

Wie kamen Sie überhaupt nach China? Kannten die Chinesen Sie bereits als Künstler?

Nein, die kannten mich natürlich gar nicht. Das ist übrigens auch das Schöne am Ausstellen im Ausland, dass die gar nicht fragen, warum malt der Komiker plötzlich, sondern für die bin ich in erster Linie Künstler. Deswegen stelle ich gerne im Ausland aus – in Italien zum Beispiel sogar relativ viel im Moment. Oder im Senegal habe ich ausgestellt oder nächstes Jahr in Kuba. Nach China bin ich durch einen deutschen Galeristen gekommen. Ich war auf der „Jinan International Biennale“ in Shandong, habe in einer Galerie in Beijing ausgestellt und hatte Museumsausstellungen und Messebeteiligungen in Chengdu und Shanghai. Das geht dann schneeballartig voran. Also Leute sehen etwas und fragen dann, wollen wir das bei uns nicht auch machen?

Satire zielt oft darauf ab, gesellschaftliche Missstände zu entlarven. Wie ist das mit der Malerei? Das Deutschland-Werk: Zerbrochene Glasscherben in einem verlassenen Fabrikgebäude. Hat das Bild eine Pointe?

Nee, meine Bilder sind vollständig humorlos (lacht!) Das, was Sie ansprechen, glaube ich, hat mehr mit dem Thema meiner Arbeit zu tun als mit der Charakterisierung des Ortes.

Das Foto, das Sie jetzt ansprechen, ist aus den 2010er Jahren – aber meine Bilder haben sehr stark mit Vergänglichkeit zu tun, mit Verschwinden, mit Vergehen. In dem Moment, in dem Motive verwischt werden, in den Hintergrund geraten, spielt Vergänglichkeit immer eine Rolle.  Und ich suche natürlich gerne Orte aus, die so etwas haben wie eine Patina.

Aber dass Deutschland an sich jetzt ein Ort ist, der langsam Patina kriegt und langsam, aber sicher den Bach runtergeht – ich glaube, das ist ja nun eine Binsenweisheit, das sollte jedem bekannt sein, das kann man an den Zahlen ablesen.  Aber es ist nicht unbedingt eine künstlerische Aufgabe, das zu kommentieren. Das ist eher etwas, was man mit Worten machen sollte.

Das Vergängliche, war das schon immer in Ihren Bildern?

Eigentlich schon. Ich glaube, dass das immer drinsteckte. Fotos an sich – überhaupt stehende Bilder – haben ja etwas Subversives an sich, gerade in Zeiten, in der sich alles rasend schnell dreht und bewegt.

Derzeit haben wir ja eine wahnsinnig laute Kakofonie. Von allen Seiten. Jeder glaubt, dem Rest der Welt mitteilen zu müssen, wie es richtig geht. In solchen Momenten ist ein stehendes Bild etwas, das zum Innehalten einlädt, zum Spüren, zum Staunen. Im besten Fall vielleicht auch etwas, das vom großen Geschrei ablenkt und ins Kleine und Innere einlädt.

So gesehen – ist Ihre Kunst dann in einer Art auch ein Protest?

Ich würde jetzt nicht so weit gehen zu sagen, dass meine Kunst gesellschaftskritisch ist…es ist sozusagen ein Beiwerk, das jede stehende Kunst mit sich bringt, nicht speziell meine Arbeit.

Grundsätzlich halte ich es für ganz schwierig, wenn Kunst politisch wird. Weil ich es sehr, sehr wichtig finde, dass politische Themen verbal – und damit rational – behandelt werden. Und sie eben nicht emotionalisiert werden. Wenn Kunst politisch wird, ist sie ganz schnell populistisch.

Was fordert Sie mehr heraus? Die schnelle Pointe oder die tiefgründige Leinwand?

Beides, wie die zwei Seiten einer Medaille. Ich kann nicht sagen, dass die Herausforderung in einem Bereich größer ist als im anderen. Beide sind Teil meiner Persönlichkeit, und ich würde jetzt auch nicht sagen, ich käme ohne den einen oder den anderen aus. Das bin ich.

Googeln Sie ihren eigenen Namen im Netz, um zu sehen, was über Sie geschrieben wird? Wie reagieren Sie auf Beleidigungen und Kritik?

Nein, tue ich nicht. Ich kriege ab und zu natürlich etwas mit, wenn meine Agentur mal so einen Wust schickt. Oder ich frage auch mal nach, was es denn wieder so gibt.

Das ist übrigens sehr viel weniger geworden. Gerade auch die Anzahl der Beleidigungen ist erheblich zurückgegangen. Ja, ich glaube, da gibt es manchmal so eine Welle der Empörung – und Menschen definieren sich gerne über ihre Feindbilder – und da war ich eine Zeitlang Projektionsfläche, und jetzt werde ich das weniger. Irgendjemand ist immer beleidigt, wenn man einen Witz macht.

Wenn diese Zeit ein Charakteristikum hat, dann dass Menschen gerne beleidigt sind. Ich glaube, das definiert sie als Opfer, und das ist das Schönste eigentlich, das man heute spüren kann: das Gefühl Opfer zu sein.

Folgendes Szenario: Einer Ihrer Künstler muss wegen Corona absagen. Aber der Rettungsschirm greift: Zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung haben sich bereit erklärt, in Ihrer Show aufzutreten: Wem würden Sie zutrauen, das Publikum zum Lachen zu bringen?

Das ist natürlich sehr schwierig zu beurteilen. Will man die Leute freiwillig zum Lachen bringen oder ist man mit dem unfreiwilligen Humor zufrieden? Da kommen schon ganz unterschiedliche Menschen in Frage. Ich würde an dieser Stelle auf den „vierten“ Künstler verzichten. Das haben wir ja in der Corona-Zeit tatsächlich auch gehabt. Und ich mache lieber einen zusätzlichen Teil selber. Ist mir sicherer. Ehrlich gesagt glaube ich, dass Humor und Applaus gerade auch bei der Politik nicht an der Tagesordnung sind.

Bald können wieder Vorschläge zum Unwort des Jahres eingereicht werden. Was wäre Ihr Vorschlag?

Unwort. Wenn jemand darüber entscheidet, welche Worte es geben darf und welche nicht, dann ist schon etwas falsch gelaufen.

Fotos: Saalaufnahmen, Bayerisches Nationalmuseum © Bastian Krack

Foto links: Milchmädchen, Foto rechts: Hengsteysee

Foto: Laos Nam Ngum

Foto: Dr Frank Matthias Kammel (Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums), Dieter Nuhr und Dirk Geuer („Association for Art in Public“) © Karen Gritizsch

Tipp: Die Ausstellung „Dieter Nuhr – Woanders ist überall“ im Bayerischen Nationalmuseum (seit 7. November noch bis zum 8. Dezember 2024) ist die zweite Station einer international angelegten, bis 2028 andauernden Ausstellungstournee mit insgesamt zehn Stationen weltweit. Sie wird von der Brost-Stiftung ermöglicht, einer der größten Stiftungen für Kunst und Kultur in Deutschland, und von der „Association for Art in Public“ koordiniert. Im kommenden Jahr wird die Ausstellung u.a. im Museo Nacional de Bellas Artes in der kubanischen Hauptstadt Havanna zu sehen sein. In der Einzelausstellung präsentiert Dieter Nuhr vorwiegend großformatige Fotoarbeiten, Malerei und Zeichnungen seiner jüngsten Werkserie. Das Ruhrgebiet, eine der größten Industrieregionen Europas, in der Nuhr geboren und aufgewachsen ist, spielt dabei eine zentrale Rolle. In München treten diese Motive in einen faszinierenden Dialog mit Impressionen aus den entlegensten Regionen der Welt, die Nuhr auf seinen Reisen unermüdlich erkundet und mit der Kamera festhält.

Zur Person: Dieter Nuhr ist einem breiten Publikum vor allem als vielfach preisgekrönter Kabarettist und Satiriker ein Begriff. Doch in den letzten Jahren rückt auch sein malerisches, zeichnerisches und fotografisches Schaffen vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Als multimedialer Künstler hat er über viele Jahre hinweg ein beeindruckendes Oeuvre als bildender Künstler geschaffen, das mehr und mehr aus dem Schatten seines darstellerischen Wirkens heraustritt. Seine Arbeiten wurden im Ruhrgebiet und weltweit in Museen und Galerien ausgestellt, darunter in Wien, Rom, Hagen, Venedig, Beijing, Shanghai und Dakar.

Diesen Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

GOFLUO
Anzeige

Jetzt neu

Gloria von Thurn und Taxis im Courage-Interview über Gott, Geld und Genuss. Ab 10. Dezember im Handel. Digital schon jetzt im Shop erhältlich.