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„Da kann man sich doch nicht wegducken!“

Foto: innatura
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Spenden statt entsorgen: Juliane Kronen hat ihren Traumjob gekündigt, um ein Sozialunternehmen zu gründen. Die innatura gGmbH will der Vernichtung von Konsumgütern ein Ende machen

Raus aus dem Big Business? Das war nicht die Motivation von Juliane Kronen, als sie vor zwölf Jahren ihren Job als Unternehmensberaterin gekündigt hat. Im Gegenteil. Sie hatte das, was sie noch heute einen Traumjob nennt: Als Partnerin der Boston Consulting Group jettete sie durch die Welt, immer hoch motiviert und am Puls der Zeit, immer auf der Suche nach innovativen Lösungen für ihre Kunden. Zu stressig? Keinesfalls! „Ich habe es geliebt, Strategien zu ent­wickeln oder für eine spannende Konferenz nach New York zu fliegen und am nächsten Tag im Central Park joggen zu gehen.“ 

Heute verbringt die promovierte Betriebswirtin den Großteil ihrer Arbeitszeit in ihrem Kölner Büro oder im Warenlager. Sie wirbt Sachspenden bei Unternehmen ein, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr in den Handel kommen – und verteilt die Ware an soziale Einrichtungen, die dafür eine Vermittlungsgebühr zwischen fünf und 20 Prozent des Warenwerts zahlen. „Weg von …“ wollte Juliane Kronen nie. Bei ihr war ein „Hin zu“ verantwortlich dafür, dass sie vor zehn Jahren mit der innatura gGmbH ein Sozialunternehmen gegründet hat. „Das Thema ist zu mir gekommen“, sagt sie.

Initialzündung war der Anruf eines Kollegen vor 13 Jahren. Ein Markenanbieter wollte 200.000 Flaschen eines falsch etikettierten Markenshampoos spenden, allein: Es war kein Abnehmer zu finden. 20 bis 50 Flaschen? Sehr gern – aber für zwei Sattelschlepper voll mit Shampoo hatte niemand Platz und Verwendung. Also musste die Lieferung vernichtet werden. Die damals 48-jährige Unternehmensberaterin ­Juliane Kronen ließ das Thema nicht los. „Ich war viel in der Welt unterwegs. Da sieht man relativ schnell: Es ist genug für alle da, es ist nur falsch verteilt.“ Mit Kollegen analysierte sie den Markt und erkannte die Dimension der Warenvernichtung. „Das war für mich ein Punkt, wo mir klar war: Ich muss da etwas machen!“ 

König Charles ist Schirmherr

In Großbritannien fand sie eine Blaupause für die gemeinnützige und kostendeckende Weitervermittlung von Waren, gegründet vom damaligen Thronfolger Prinz Charles. „Der Bedarf ist da, und wir haben gesehen, dass es funktioniert“, sagt Kronen. Der jetzige König Charles hat dann auch die Schirmherrschaft für ihr Projekt übernommen. ­Also kündigte sie ihren Traumjob in der Unternehmensberatung, um das Problem der Ressourcenvernichtung gemeinsam mit ehemaligen Kollegen unternehmerisch zu lösen.

Juliane Kronen ist keine, die sich vor Verantwortung drückt. Groß geworden in einem mittelständischen Familienbetrieb in Neuss, ist ihr das Unternehmertum schon als Kind in Fleisch und Blut übergegangen. Anpacken und flexibel Krisen meistern: Im elterlichen ­Fuhrunternehmen war das selbstverständlich. Den Betrieb, so war der Plan, sollte sie mal übernehmen. Doch als junge BWL-Studentin geht sie mit einem Fulbright-Stipendium in die USA, und die Faszination der großen weiten Welt war geweckt. Nach ihrer Rückkehr arbeitet sie als studentische Hilfskraft im Bereich Gründungsforschung an der Uni Köln, dem ersten Lehrstuhl zum Thema Gründung in Deutschland. Es folgt die Promotion bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, heute Fraunhofer Gesellschaft. Statt ins elterliche Fuhrunternehmen einzusteigen, heuert sie bei der Boston Consulting Group (BCG) an, wird nach acht Jahren Partnerin und betreut global operierende Unternehmen, vornehmlich aus der Telekommunikationsbranche. Bis der Anruf des Kollegen kam. 

Skepsis bei den Banken

Den Gegenwind, den es dann bei der Gründung von innatura gab, hatte die erfolgsverwöhnte Macherin nicht erwartet. „Wir haben mit Hausbanken gesprochen und mit der KfW – und schnell gelernt: Wenn das Geschäftsmodell zu innovativ ist, kann da keiner mit umgehen“, sagt Kronen. Sie sitze in vielen Pitches und frage sich oft: Was ist das Problem, das die Gründer lösen wollen? Bei ihrer Sozialgründung waren Pro­blem und Lösung für sie klar. Dennoch musste sie immer wieder erklären, dass es sich bei innatura nicht um eine weitere Charity handelt, die für eine Tombola sammelt, sondern um ein Business. „Wir sind Drehscheibe zwischen den Unternehmen und dem gesamten sozialen Sektor.“ Eine Finanzierung hat sie dennoch nicht bekommen. „Mich hat nicht mal jemand nach unseren Cashflow-Erwartungen gefragt“, wundert sie sich. „Beratern eilt der Ruf voraus, dass sie operativ nichts können“, ärgert sich Kronen.
„Ich habe den Gefahrgutführerschein aller Klassen in der Tasche“, pflegte sie zu kontern. „Dann war schnell Ruhe im Karton.“ Geld für ihr Sozialunternehmen gab es dennoch nicht.

Aufgeben kam für Juliane Kronen nicht infrage. Also hat sie die Finanzierung gemeinsam mit zwei Kollegen einfach selbst gestemmt – und nach fünf Jahren den Break-even erreicht. Heute, zehn Jahre nach dem Start des operativen Geschäfts, hat innatura 17 sozialversicherungspflichtige Angestellte. Und die beiden Mitgründer sind als Gesellschafter noch immer an Bord. In der 3000 Quadratmeter großen Lagerhalle im Kölner Stadtteil Gremberghoven stapeln sich Paletten mit Shampoos, Windeln, Waschmittel und Co. Gut 250 Unternehmen zählen zu ihren Spendern und liefern palettenweise Markenware, knapp 3000 charitative Einrichtungen beziehen über innatura regelmäßig Waren. 

Milliardenwerte werden vernichtet

innatura ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das sich um Consumer Waste kümmert. „Über Food Waste oder auch Bekleidungs-Waste wird viel berichtet, da wird auch einiges getan“, sagt Kronen. Über die enorme Verschwendung im Konsumgüterbereich werde dagegen kaum geredet. Dabei ist das Problem gewaltig. „Fabrikneue Ware im Wert von sieben Milliarden Euro wird jedes Jahr ‚entsorgt‘, also vernichtet, davon sind Waren im Wert von zwei Milliarden Euro einwandfrei“, erklärt Kronen. 

Die Gründe sind vielfältig. „Jeder Kunde soll jederzeit eine Auswahl an allem haben – in allen Geschäften der Republik, in einwandfreiem Zustand und in unbeschädigter Verpackung“, sagt Kronen. Beschädigte Paletten nimmt der Handel gar nicht erst an. Saison- oder Angebotsware wird regelmäßig aussortiert, Produkte mit falscher Etikettierung schaffen es gar nicht erst in den Handel. „Ein Produzent hat besonders dünne Verpackungen für seine Shampoos ausprobiert, aber dann warf das Etikett Blasen“, nennt Kronen ein Beispiel. Ein No-Go bei Markenartiklern. Zudem stellen Anbieter nur Ware mit mindestens ein bis drei Jahren Haltbarkeit ins Regal. Auch eigentlich unverderbliche Ware wie Windeln wird mit kürzerer Haltbarkeit aussortiert. „Dann heißt es: Die Hersteller ‚verjüngen‘ die Bestände“, sagt Kronen. „Das ist dann der Schönsprech für: Sie werfen Windeln weg und ersetzen sie durch frisch produzierte …“

Spenden ist teurer als vernichten

Wenn Juliane Kronen Spenden bei Unternehmen einwirbt, muss sie viel Überzeugungsarbeit leisten. Denn nach geltendem Recht ist es für die Produzenten günstiger, die Ware zu vernichten, als sie zu spenden. Der Grund: Auf gespendete Ware wird unter Umständen Umsatzsteuer fällig. Die Ampel will das ändern, so steht es im Koalitionsvertrag. Und schon jetzt ist laut einer EU-Empfehlung bei sozialer Verwendung auch eine Besteuerung von null möglich, weiß Kronen. Aber Rechtssicherheit gibt es nicht, und die Sorge ist groß, dass bei Betriebsprüfungen rückwirkend Steuer auf etwas fällig wird, was null Umsatz gebracht hat. „Ein Unding“, ärgert sich Kronen. „Unternehmen werden dafür belohnt, Ressourcen zu verschwenden.“ Um das zu ändern, ist Kronen in vielen Initiativen engagiert.

Warum sie das Risiko auf sich nahm, einen spannenden und hoch dotierten Job aufzugeben, um ein Sozialunternehmen mit ungewissen wirtschaftlichen Perspektiven zu gründen? Das werde sie von allen Journalisten gefragt, sagt sie mit einer gewissen Verwunderung. „Man muss es anders sehen: Man verdient so klotzig Geld, dass man in dem Alter dann mal Kassensturz macht und sagt: Man kann dem lieben Gott auf Knien danken, dass man finanziell unabhängig ist“, so die Sozialunternehmerin. „Mit solchen Freiheitsgraden kann man doch nicht sagen: Mir ist es egal, dass Unmengen von Artikeln vernichtet werden! Da kann man sich doch nicht weg­ducken und so weitermachen wie bisher!“ 

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