Schauspielerin und Filmemacherin, ehemals Flüchtlingskind und heute an der Seite von Flüchtlingen: Perspektivenwechsel gehören zu Hanna Schygullas Leben. Jetzt feiert sie ihren 80. Geburtstag.
Gerade hat sie an der Nordsee gedreht, auf einer Watteninsel. Eine neue Anfrage für einen Film hat sie schon auf dem Tisch – und wenn es gerade einmal eine Pause gibt, treibt sie ihre eigenen Projekte voran: Die Übersetzung ihrer Biografie ins Französische, einen Kurzfilm über Flüchtlinge. Hanna Schygulla, vor vielen Jahren bekannt geworden als Fassbinder-Entdeckung, feiert am 25. Dezember ihren 80. Geburtstag. Müde scheint sie nicht zu werden.
«Ich bin selber beeindruckt», sagt sie. «Auch wenn ich manchmal verlangsame. Aber das hat ja auch sein Gutes.» Gesundheitliche Krisen gebe es schon, aber: «Ich bin immer wieder gut herausgekommen», sagte Schygulla vor ihrem Geburtstag der Deutschen Presse-Agentur. Gefragt nach ihrem Motto sagt sie: «Es lebe die Lebensfreude – und öfter mal was Neues. Und ganz wichtig: der Humor.»
Etwas Neues probiert sie gerade an ihrem Geburtstag. Früher habe sie nie groß gefeiert, zum 80. wolle sie das erstmals «so richtig» tun: Freunde unter anderem aus Paris und Brüssel reisen dazu nach Berlin.
Gratulationen kommen unter anderem aus München. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) würdigte ihre «großartige Filmkarriere». «Bis heute prägen Sie die europäische Filmszene. Es ist beeindruckend, wie ungebrochen Ihre Schaffenskraft und Präsenz ist.»
Wie kam sie zur Schauspielerei?
Der Weg zur Schauspielerei war für Schygulla nicht unbedingt vorgezeichnet. Sie studierte Romanistik und Germanistik, wollte ihre Abschlussarbeit über Karl Valentin schreiben, den sie verehrt.
Rainer Werner Fassbinder ist es, der sie in den 60er Jahren zuerst ans Theater holt, mit ihm prägt sie den Autorenfilm, mit seinen Filmen – etwa «Effi Briest», «Die Ehe der Maria Braun» und «Lili Marleen» – wird sie berühmt. «Er war sicherlich für meinen Lebenslauf der entscheidende Mann – denn ohne ihn wäre ich gar keine Schauspielerin geworden. Ich war ja schon von der Schauspielschule abgegangen. Da hat er sich an mich erinnert», sagt sie.
Später arbeitete Hanna Schygulla mit europäischen Regiegrößen wie Volker Schlöndorff, Jean-Luc Godard, Carlos Saura oder Marco Ferreri. Die Zusammenarbeit mit Ferreri brachte ihr 1983 den Darstellerpreis in Cannes ein. Zwischen Traum und Wirklichkeit – dabei hellwach und präsent: Das war der Schygulla-Effekt. Damit zog sie die Menschen in ihren Bann. Für Hollywood spielte sie in der Fernseh-Serie «Peter der Große» die Katharina die Große.
Pflege der Eltern
Ihre Karriere stellte Schygulla teils für die Pflege der Eltern zurück. «Sie sind in der Zeit vor, während und nach der Katastrophe der Weltkriege im Leben zu kurz gekommen», sagte sie früher einmal. «Das wollte ich, so gut ich konnte, zum Ende noch ausgleichen.»
Von den Neunzigern an trat die vielfach mit Preisen ausgezeichnete Schauspielerin auch als Chansonsängerin auf, stand vermehrt selbst hinter der Kamera. Etwa drehte sie unter dem Titel «Traumprotokolle» Kurzfilme, die in New York und Berlin gezeigt wurden.
Viele Jahrzehnte lebte sie in Paris – bis heute Lebensmittelpunkt neben Berlin. «Irgendwann wird das auf einen Wohnsitz zusammenschrumpfen. Aber solange es geht, finde ich es noch anregend», sagt sie. Berlin sei nicht so schön wie das im Krieg weitgehend unzerstörte Paris, dafür aber kunterbunt.
Von Oberschlesien nach München
Zwischen zwei Kulturen bewegte Hanna Schygulla sich früh, als sie 1945 als Flüchtlingskind mit ihrer Mutter aus Oberschlesien nach München kam. Die Flucht, die Kindheit in Bayern und das Verhältnis zum Vater nach dessen Heimkehr aus der Gefangenschaft haben sie geprägt. Sie pendelte damals zwischen dem Jungen, den ihr Vater gern gehabt hätte, der schönen Prinzessin, dem Flüchtlingskind und dem Münchner Kindl, dem Dickkopf und der Tagträumerin.
Bis heute ist sie denen verbunden, die als Flüchtlinge kommen – und die wie sie zwischen den Kulturen wandern. Kurdische Mädchen in Berlin leitete sie an, kleine Filme zu drehen. Kürzlich hatte sie als Mitglied einer Online-Jury Kontakt mit jungen ukrainischen Filmemachern. «Sie kannten mich und haben sich über meine Teilnahme gefreut. Mit Staunen habe ich festgestellt, wie trotz lebensbedrohlicher Situationen weiter wesentliche Filme entstehen.»
Im Spätherbst hat Schygulla mit dem Nachwuchsregisseur Ameer Fakher Eldin – in der Ukraine geboren, auf den Golanhöhen aufgewachsen, in Hamburg lebend – an der Nordsee den zweiten Teil seiner Trilogie über das Fremdsein gedreht. Sie spielt die Wirtin einer Watteninsel, die immer wieder vom Meer überspült wird. Im Januar laufen im Filmmuseum in München ihre Kurzfilme über das «Menschsein in Ausnahmezeiten».
«Jedes Alter hat seine Schönheit»
Das Alter kaschieren, Haare färben – für Schygulla kein Thema. «Vielleicht bin ich eine der wenigen Schauspielerinnen, die so aussehen, wie sie geworden sind. Der Schönheitswahn ist so weit entfernt davon. Jedes Alter hat seine Schönheit.»
Gerade sitzt Schygulla an der Übersetzung ihrer Autobiografie «Wach auf und träume», die nach zehn Jahren auch auf Französisch erscheinen soll. Auch damit blicke sie derzeit intensiv auf ihr Leben zurück: «Ich bin angetan, wie reich es doch war.» (dpa/bw)