Das Schicksal der Geiseln in Gaza hängt am seidenen Faden. Hamas-Anführer Sinwar fordert laut Medien ein Ende des Krieges, was Israel ablehnt. Spielt er auf Zeit? Die News im Überblick.
Die indirekten Verhandlungen über einen Geisel-Deal im Gaza-Krieg sind Medienberichten zufolge an einem kritischen Punkt angelangt. Die Führung in Israel gehe davon aus, dass die islamistische Hamas das jüngste Angebot für ein Abkommen über die Freilassung israelischer Geiseln und eine Waffenruhe offiziell ablehnen wird, zitierte die Zeitung «Times of Israel» einen Regierungsbeamten.
Zuvor war im Hauptquartier des israelischen Militärs in Tel Aviv das Kriegskabinett zusammengetreten, um über einen möglichen Beginn der umstrittenen Bodenoffensive in Rafah im Süden des abgeriegelten Gazastreifens zu beraten. Währenddessen demonstrierten draußen Dutzende von Familienangehörigen israelischer Geiseln und ihre Unterstützer und forderten der Zeitung zufolge Regierungschef Benjamin Netanjahu auf, einer Vereinbarung zuzustimmen, die die Freilassung der Geiseln in Gaza sicherstellt – egal, wie hoch der Preis dafür sei.
Israel: Weitere Geisel im Gazastreifen tot
Eine weitere in den Gazastreifen verschleppte Geisel ist nach Angaben der israelischen Regierung tot. Der Mann war wie Dutzende andere am 7. Oktober von der islamistischen Hamas bei einem Terrorangriff aus Israel entführt worden. Wie die Regierung auf der Plattform X, vormals Twitter, weiter mitteilte, befindet sich seine Leiche weiter im Gazastreifen. Todesursache und -zeitpunkt wurden nicht genannt. Unklar war zudem, woher genau Israel die Erkenntnis über seinen Tod hat.
Seine Frau wurde den Angaben zufolge während des Massakers am 7. Oktober ermordet und zwei seiner drei Kinder in den Gazastreifen entführt. Seine 13 Jahre alte Tochter sowie sein 17-jähriger Sohn kamen demnach im Rahmen eines Abkommens zwischen der israelischen Regierung und der Hamas im November frei.
Israelische Medien berichteten unter Berufung auf den Kibbuz Beeri, wo die Familie lebte, der 49-Jährige sei bereits am 7. Oktober getötet worden. Auch das Forum der Geisel-Angehörigen teilte mit, Terroristen der Hamas hätten seine Leiche an dem Tag in den Gazastreifen gebracht.
Israel reicht Beschwerde wegen türkischem Handelsboykotts ein
Die israelische Regierung hat bei der Industriestaatenorganisation OECD eine Beschwerde gegen Ankara eingereicht, nachdem die Türkei den Handel mit Israel wegen des Krieges im Gazastreifen vorübergehend eingestellt hatte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei ein «antisemitischer Diktator», der mit dem Handelsboykott gegen internationales Seerecht verstoße und globale Lieferketten unterbreche, schrieb der israelische Wirtschaftsminister Nir Barkat auf der Plattform X, vormals Twitter. «Wir erwarten, dass die OECD wegen der wahnhaften Entscheidung Erdogans, die der gesamten europäischen Wirtschaft schadet, gegen die Türkei vorgeht», fügte er hinzu.
Die Türkei hat wegen der israelischen Angriffe im Gazastreifen die Aus- und die Einfuhr aller Produkte mit Bezug zu Israel ausgesetzt. Der Handelsboykott bleibe so lange aufrecht, bis die israelische Regierung den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe nach Gaza erlaube, hatte es in Ankara geheißen. Erdogan hatte den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen wiederholt scharf kritisiert und Israel «Völkermord» an den Palästinensern vorgeworfen.
Gaza-Deal hänge von Hardlinern Israels und der Hamas ab
Eine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg hänge nun von den beiden Hardlinern Netanjahu und Jihia al-Sinwar ab – letzterer ist der Anführer der Hamas in Gaza. Beider Zukunft stehe in diesem Krieg auf dem Spiel und ihr Kalkül lasse wenig Spielraum für einen Kompromiss, schrieb das «Wall Street Journal».
Netanjahu, gegen den seit Längerem ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches Überleben auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Diese hatten jüngst mit einem Ende der Regierung gedroht, sollte der auf dem Tisch liegende Geisel-Deal umgesetzt und ein Einsatz in Rafah abgeblasen werden. Selbst wenn die Hamas ein Abkommen bedingungslos akzeptieren würde, sei denn auch nicht klar, ob Israel dem zustimmen werde, schrieb dazu die «Times of Israel».
Hamas-Anführer wird in Tunneln unter Rafah vermutet
Sinwar wiederum glaube, dass er auch einen Angriff auf Rafah überleben könne, zitierte das «Wall Street Journal» arabische Unterhändler, die mit ihm verhandelten. Der Hamas-Anführer wird in den Tunneln der Hamas unterhalb des Gazastreifens vermutet. Arabischen Vermittlern zufolge sei Sinwar der Auffassung, dass er den Krieg mit Israel bereits gewonnen habe, unabhängig davon, ob er ihn überlebt oder nicht.
Denn er habe das Leiden der Palästinenser und den Konflikt mit Israel ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt. Sinwars Ziel sei es, die Freilassung von Hunderten, wenn nicht Tausenden von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen im Austausch gegen Geiseln im Gazastreifen zu erreichen und ein Abkommen zu schließen, das den Krieg beendet und das Überleben der Hamas sichert.
Hamas-Anführer fordere Änderungen am Verhandlungsangebot
In Bezug auf das aktuelle Verhandlungsangebot verlange Sinwar ein garantiertes Ende des Kriegs, sagte eine dem Hamas-Anführer nahestehende Quelle dem israelischen Fernsehsender Channel 12. Israel lehnt dies bislang ab. Sinwar will den Angaben zufolge eine schriftliche Verpflichtung für ein «bedingungsloses Ende der Kämpfe».
Er fordere außerdem, dass den palästinensischen Häftlingen, die Israel im Austausch für israelische Geiseln aus Gefängnissen entlassen müsste, nicht die Rückkehr ins Westjordanland verwehrt werde. Israel will diejenigen, die lebenslange Haftstrafen absitzen, laut dem jüngsten Entwurf für einen Deal in den Gazastreifen oder ins Ausland schicken.
Weiterhin verlangt Sinwar demnach nähere Informationen zu Materialien, die Israel für den Wiederaufbau nicht in das abgeriegelte Küstengebiet liefern lassen will. Der Sender Channel 12 mutmaßt, das Sinwar somit sicherstellen wolle, dass die Hamas ihre Tunnel wiederaufbauen kann.
Der 1962 im Gazastreifen geborene Sinwar gehört zur Gründergeneration der Hamas. Er war in den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig und am Aufbau des militärischen Hamas-Arms beteiligt. Wegen Mordes unter anderem an zwei israelischen Soldaten verbrachte Sinwar mehr als zwei Jahrzehnte in israelischer Haft. Diese Zeit nutzte er, um Hebräisch zu lernen und den Feind zu studieren. 2011 kam er frei – als einer von mehr als 1000 palästinensischen Häftlingen im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit.
Hamas will Verhandlungen in Kairo fortsetzen
In Mitteilungen, die der militärische Flügel der Hamas an die arabischen Vermittler weitergeleitet habe, habe Sinwar angedeutet, dass die Zeit auf seiner Seite sei, schrieb das «Wall Street Journal» weiter. Denn der internationale Druck auf Israel nehme zu, je länger er warte. Sinwars Terrororganisation hatte gestern mitgeteilt, noch einmal eine Delegation nach Ägypten zu schicken, um die indirekten Verhandlungen über einen Geisel-Deal fortzusetzen.
Dem staatsnahen ägyptischen Fernsehsender Al-Kahira News zufolge soll eine Hamas-Delegation innerhalb der nächsten zwei Tage in der Hauptstadt Kairo eintreffen. Die ägyptischen Vermittler versuchten nun mit US-Unterstützung, die Uneinigkeiten zwischen Israel und der Hamas zu überwinden, berichtete der TV-Sender Channel 12.
Die israelische Regierung hat einen raschen Beginn der Offensive in Rafah angekündigt, sollte es nicht zu einer Einigung kommen. Verbündete wie die USA haben Israel wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf Rafah gewarnt, weil sich dort Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge aufhalten.
Die Stadt ganz im Süden Gazas gilt nach rund sieben Monaten Krieg als einzige in dem Küstengebiet, die noch vergleichsweise intakt ist. Der örtliche Direktor der UN-Entwicklungsagentur UNDP sprach von den schwersten Zerstörungen einer Region seit dem Zweiten Weltkrieg. Auslöser des Krieges war das Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübten. Tel (dpa/cw)