Am 9. Juni findet in Deutschland die Europawahl statt. Erstmals dürfen auch Jugendliche ab 16 abstimmen. Doch haben sie überhaupt Interesse an Europa?
Es ist eine Premiere: Bei der Europawahl am 9. Juni dürfen in Deutschland zum ersten Mal Jugendliche ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Bislang lag das Mindestwahlalter bei 18 Jahren. Und auch wenn der Anteil der 16- und 17-Jährigen an den Wahlberechtigten nur rund zwei Prozent ausmacht: Die Neuregelung ist in Meilenstein für Deutschland. Doch inwieweit interessieren sich junge Leute überhaupt für Europa? Und was halten sie selbst von der Reform?
Pausenhof mit Politik
«Wir finden das Wählen mit 16 sehr gut», sagt der Vorsitzende des Länderschülerbeirats Baden-Württemberg, Joshua Meisel. Möglichst früh die Möglichkeit zu haben, sich an der Demokratie zu beteiligen, werde im «Endeffekt auch die Politikverdrossenheit verringern», meint der 19-Jährige. «Man merkt schon früh, man kann auch mitbestimmen, man wird ernst genommen als junger Wähler.»
Meisel erinnert sich, wie seinerzeit in der fünften Klasse die US-Präsidentschaftswahl 2016 in der Schule diskutiert wurde. Ob man über die EU genauso viel spricht? «Europa ist ein Thema, an dem sich die Geister ein bisschen scheiden. Es gibt die einen, die sehr für Europa brennen», sagt er. Und dann gebe es andere, denen regionale, lokale und Bundespolitik wichtiger sei. Er selbst ist begeisterter Europäer: «Ich persönlich finde Europa sehr, sehr wichtig, auch wählen zu gehen und mitzumachen, weil die EU schon lange eine Friedensgarantie in Europa gewesen ist.»
Globales Denken mit 16
Nach Angaben des Jugendforschers Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School zeigen Studien, dass junge Leute sehr europafreundlich sind. «Europa ist sehr positiv besetzt in der jungen Generation», betont er. In der Eurobarometer-Umfrage des Europäischen Parlaments gaben 91 Prozent der 15- bis 24-Jährigen an, dass die Teilnahme an den Europawahlen für sie wichtig sei.
«Es ist eine große Chance, das Wahlalter in die Schulzeit zu legen, weil wir damit eine staatliche Institution haben, die für alle Wahlberechtigten das Thema aufbereiten kann», sagt der Vorsitzende des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann. Für Jugendliche sei Europa ein Kontext, den sie viel selbstverständlicher wahrnähmen als manche andere Altersgruppe. «Ihnen ist bereits klar, dass die Probleme, die sie in der Welt erwarten, nur global gelöst werden können», sagt Hofmann. Der Weg führe also nach Europa.
Laut Statistischem Bundesamt lebten Ende 2023 rund 1,4 Millionen 16- und 17-jährige Erstwähler in Deutschland, die nun bei der Europawahl abstimmen dürfen. Wie viele dann tatsächlich zur Urne gehen, ist eine interessante Frage. Wahlanalysen zeigten eher einen Trend zu niedrigerer Wahlbeteiligung bei jüngeren Altersgruppen.
Das habe auch biografische Gründe, sagt Jugendforscher Hurrelmann. Die älteren Generationen empfänden das Wählen als eine soziale, gesellschaftliche Pflicht. Sie wüssten es zu schätzen, dass es möglich sei, frei seine Stimme abzugeben. «Für die jüngeren Menschen ist das eine Selbstverständlichkeit», sagt er. «Sie gehen am liebsten zur Wahl, wenn ihre Stimme wirklich auch zählt.»
Klare Botschaften und soziale Medien
Hurrelmann ist überzeugt: Bereits im 14. Lebensjahr seien junge Menschen in der Lage einzuschätzen, was bei einer Wahl passiert. Mit 16 Jahren könne man also eine Wahlpräferenz äußern. Um sich diese junge Wählergruppe zu sichern, müssten Parteien klare Konturen zeigen und attraktiv kommunizieren. «Inhaltliche Orientierung ist für junge Leute noch wichtiger als für alle anderen», betont der Jugendforscher. Die junge Generation sei themenorientiert und im politischen Spektrum breit aufgestellt.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien. «Die meiste politische Information wird über die digitalen Plattformen aufgenommen», erklärt Hurrelmann. Das müssten Parteien auch bedienen. Die AfD nutzt die sozialen Medien besonders stark, um Jugendliche mit ihren Botschaften zu erreichen. «Die haben in der jungen Generation ihre Resonanz und entsprechend steht die Partei sehr gut da», sagt der Jugendforscher. Dass junge Leute weniger über traditionelle Kommunikationskanäle erreicht werden könnten, hätten andere Parteien lange nicht verstanden. «Sie tun es jetzt – noch reicht es vielleicht, im Wahlkampf das eine oder andere wieder aufzuholen.»
Wahlsimulation für rund 1,26 Millionen Jugendliche
Parallel zur Europawahl wird am 9. Juni auch die Juniorwahl 2024 stattfinden. Dabei simulieren Schüler und Schülerinnen der Jahrgangsstufen 7 bis 13 die Wahl. Das Wahlrecht ab 16 habe einen Impuls in die Schulen gegeben, sagt Gerald Wolff von der Juniorwahl. «Wir sehen eine extrem hohe Nachfrage: Die Anzahl der Schulen hat sich im Vergleich zur letzten Europawahl verdoppelt», sagt er. Jede dritte Schule wird den Angaben zufolge bei der Wahlsimulation mitmachen. Rund 1,26 Millionen Jugendliche und etwa 40 000 Politiklehrkräfte werden sich beteiligen. «Da sieht man, dass das Wahlrecht ab 16 definitiv etwas mobilisiert hat», sagt Wolff. Das Projekt bietet seit über 20 Jahren ein Angebot zur politischen Bildung und wird vom Bundesfamilienministerium und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Gegen Gleichgültigkeit kämpfen
Alle Schulformen machten mit, sagt Wolff. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten auch gezeigt: Wer die ersten drei Male in seinem Leben wählen gehe, werde mit einer höheren Wahrscheinlichkeit sein Leben lang wählen. «Worum es insgesamt geht, ist der Kampf gegen Gleichgültigkeit.» (dpa/ag)