Die Innenstädte sind in der Krise: Tausende Einzelhandelsgeschäfte schließen, die Aufenthaltsqualität ist oft gering. Kreative Ideen sind gefragt.
Die Zahl der Einzelhandelsgeschäfte sinkt in Deutschland seit Jahren, dennoch sind viele Innenstädte vor allem auf Shopping ausgelegt. Die Leerstände sind nicht zu übersehen – schon bald dürften mit weiteren Schließungen von Galeria-Filialen neue und große Lücken dazukommen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt daher vor «Geisterstädten» und rief die Bundesregierung zu einem Innenstadtgipfel auf.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) betonte, dass in den Innenstädten das Angebot vielfältiger werden müsse – die Menschen wünschten sich neben Shopping auch Bibliotheken, Wohnungen sowie Kindergärten und Schulen in den Stadtzentren.
«Monokulturen sind anfällig für Krisen. Das gilt nicht nur für die Fichten im Harz, sondern auch für den Immobilienmarkt und die Innenstadtentwicklung», sagte die SPD-Politikerin bei einem Kongress zum Thema Handelsimmobilien in Berlin. «Vielfältigere Angebote und Nutzungsmöglichkeiten bringen Stabilität.»
Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu) warb bei dem Kongress dafür, bei der Transformation der Innenstädte experimentierfreudig zu sein und im Kleinen mit dem Wandel zu beginnen. Es sei wichtig, dass Menschen andere Zugänge zur Innenstadt fänden. «Warum ist zum Beispiel nicht der größte und schönste Spielplatz in der Innenstadt?», fragte Pätzold. Ministerin Geywitz berichtete von älteren westdeutschen Einkaufszentren, auf deren Dächern früher Minigolf-Anlagen betrieben worden seien. «Heute sind die Dächer in der Regel nicht genutzt. Ich glaube aber, sie haben noch ein gutes Potenzial für Aufenthaltsqualität», sagte die SPD-Politikerin.
Innenstädte werden oft nach Einkaufsmöglichkeiten bewertet
Die Realität sieht in vielen Innenstädten anders aus. Vor allem in den mittelgroßen Zentren reihen sich die immer gleichen Filialen großer Handelsketten aneinander. Die meisten Flächen sind zubetoniert, Grün ist selten zu finden. Zudem wird der Leerstand größer: Die Leerstandsquote in zentralen Erdgeschosslagen der Innenstädte ist in den Krisenjahren 2022/2023 laut einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf 8 bis 10 Prozent angestiegen.
«Wir haben nicht das Frequenzniveau, das wir 2019, 2020 vor Augen hatten, heute wieder erreicht. An einzelnen Standorten sicherlich, aber nicht flächendeckend», sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth zur Zahl der Menschen in den Einkaufsstraßen. Es sei aber der Handel, der die Innenstädte attraktiv mache. Aktuelle Studien bestätigten das zuletzt: Innenstädte werden oft nach den Einkaufsmöglichkeiten bewertet, Einkaufen und Shopping werden immer wieder als wichtigste Besuchsmotive genannt.
Seit 2015 rund 60.000 Einzelhandelsgeschäfte weniger
Und dennoch: Seit 2015 ist die Anzahl der Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland laut HDE von 372.000 auf 311.000 gesunken. Im laufenden Jahr rechnet der Verband mit 5000 weiteren Schließungen. Die Unsicherheit der Branche verstärkte sich zuletzt durch die erneute Insolvenz des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof. Die neuen Eigentümer wollen mindestens 70 der 92 Filialen übernehmen. Einige Städte müssen aber damit rechnen, dass die hiesige Galeria-Filiale schließt.
Handelsverband für Zuschüsse und Ansiedlungsmanager
Im Kampf gegen den «Niedergang vieler Innenstädte» will der Branchenverband nun die Politik in die Pflicht nehmen. Ein jährlicher Gipfel mit allen Beteiligten könne die Abstimmung verbessern, meinte HDE-Präsident Alexander von Preen.
Von Preen hält auch eine Gründungsoffensive für nötig. «Wir müssen die Leerstände auch als Chance begreifen und Menschen ermutigen, ähnlich wie bei den Gründerzentren auf der grünen Wiese, ihr eigenes Geschäft in der Innenstadt zu eröffnen.» Gründer sollten für maximal 60 Monate einen Zuschuss erhalten, Ansiedlungsmanager könnten Leerstände erfassen und Nachmieter organisieren.
Wohnen im Zentrum?
«Menschen wollen Menschen sehen», sagte difu-Expertin Pätzold zum Thema Aufenthaltsqualität einer Innenstadt. Handel, Gastronomie, Medizin, Dienstleistungen, Wohnen, Leben – all das gehöre zur Innenstadt. Die Frage sei letztlich, wie diese Nutzungen in Zukunft zueinander in Beziehung ständen. Denn sortiert und nebeneinander sei das im begrenzten Stadtzentrum nicht möglich. Stadt sei eben auch das Durcheinander.
Beim viel diskutierten Thema Wohnen in der Innenstadt warnte sie, dass dafür neben dem Wohnraum auch eine große Toleranz für «innerstädtische Zumutungen» wichtig sei, wenn in einem Stadtzentrum viel los sein soll.
Grundsätzlich brauche es für die Transformation aber einen anderen Ton beim Thema Innenstädte. «Alle reden vom Bedeutungsverlust der Innenstädte, das ist ein breit geteiltes Narrativ. Aber es ist ein Problem, wenn alle so auf die Innenstädte schauen und es immer vor allem darum geht, ob man sie noch retten kann», sagte Pätzold. (dpa/cw)