Berlin (dpa) – Die Wahlleitungen von Bund und Ländern wollen heute virtuell über die Vorbereitung zur vorgezogenen Wahl des Bundestags beraten. Den Wahltermin kennen sie noch nicht, darüber wird in der Politik noch gerungen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zunächst den 15. Januar für die Vertrauensfrage und Ende März als möglichen Zeitpunkt für die Neuwahl genannt. Union und FDP wollen einen früheren Termin. Der Kanzler zeigte sich zuletzt gesprächsbereit.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand warnte in einem Brief an Scholz, eine Verkürzung des ohnehin sehr knappen Zeitraums könne zu «unabwägbaren Risiken» auf allen Ebenen, insbesondere in den Gemeinden, führen. Ein Desaster wie die Berliner Pannen-Wahl von 2021 soll unbedingt vermieden werden.
Was sind die grundsätzlichen Bedenken der Bundeswahlleiterin?
Gemäß Artikel 39 muss der Bundestag nach Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden. Brand will die Frist voll ausschöpfen, «um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können». Die Wahl sei essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.
Was sind die logistischen Herausforderungen für die Wahl?
Es müssen Wahlausschüsse auf Kreis- und Landesebene berufen, Wahlhelfende geworben und geschult werden. 2021 waren rund 650.000 ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer am Wahltag in den Wahllokalen und bei der Briefwahl im Einsatz. Es müssen Wahlräume gefunden und ausgestattet werden, bei der Wahl 2021 gab es rund 60.000 Wahllokale.
An über 60 Millionen Wählerinnen und Wähler müssen Wahlbenachrichtigungen verschickt werden. Hinzu kommen der Versand der Briefwahlunterlagen und die Einrichtung von Briefwahlbezirken – 25.000 waren es 2021. Brand weist zudem auf die Bereitstellung und Prüfung der notwendigen IT-Infrastruktur und die Gefahr von Cyberangriffen hin.
Auch die Parteien haben vor der Wahl viel zu regeln. Die Kandidaten für die 299 Wahlkreise müssen bestimmt, Landeslisten aufgestellt und von Parteiversammlungen beschlossen werden. Kleinere Parteien müssen Unterstützerunterschriften sammeln und diese von den Gemeinden bescheinigen lassen.
Worum geht es beim Treffen der Wahlleiter von Bund und Ländern?
Die Bundeswahlleiterin hat «selbstverständlich mit den Vorbereitungen für eine mögliche Neuwahl begonnen, um die Herausforderungen durch die verkürzten Fristen gemeinsam mit allen Beteiligten bewältigen zu können», machte Brand am Freitag auf der Plattform X deutlich. Zugleich besteht Bedarf am Austausch von Informationen mit den Landeswahlleitungen.
In der Besprechung soll es auch um neue Verfahren nach einer Änderung der Bundeswahlordnung gehen. Ein wichtiger Punkt hierbei: Wer für den Bundestag kandidiert, muss nicht mehr seine private Adresse preisgeben. Geburtsjahr und Wohnort genügen. Das soll das Risiko minimieren, Opfer von Gewalttaten oder politisch motiviertem Stalking zu werden.
Schon am Dienstag könnte es für Bundeswahlleiterin Brand das nächste Treffen geben: Die Fraktionen von SPD und Grünen haben eine öffentliche Sondersitzung des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags beantragt. Es sei dort «mit der Bundeswahlleiterin zu diskutieren, wann die Neuwahl aus ihrer Sicht mit ihrer praktischen Erfahrung frühestens stattfinden kann», heißt es in einem Antragsschreiben an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Wie reagiert die Union auf die Bedenken?
Brands gegen einen früheren Wahltermin vorgebrachte Bedenken weist die Unionsfraktion zurück. «Ich kann der Bundeswahlleiterin daher nur raten, sich von niemandem instrumentalisieren zu lassen», sagt Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei der «Bild am Sonntag».
Brand wies den Vorwurf zurück. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mahnte indes in der «Süddeutschen Zeitung», rechtliche und praktische Voraussetzungen für die Neuwahl seien ernstzunehmen.
Auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) warnte vor Risiken eines früheren Wahltermins. «Eine nicht korrekt durchgeführte Wahl könnte später als verfassungswidrig angefochten werden, wenn die demokratischen Beteiligungsrechte verletzt wurden», schrieb er auf der Plattform X. Beispielhaft nannte er mögliche organisatorische Schwierigkeiten für neue und kleinere Parteien, etwa bei der Listenaufstellung, sowie die Beteiligung von im Ausland lebenden Wahlberechtigten.
Lassen sich rechtzeitig genug Stimmzettel beschaffen?
Auch diesen Punkt spricht Brand an. In den vergangenen Jahren sei die Beschaffung von Papier und die Beauftragung geeigneter Druckdienstleiter zunehmend erschwert und mit längerem Vorlauf verbunden gewesen. Die Papierindustrie hält dagegen. «Klare Antwort: Ja. Bei rechtzeitiger Bestellung können wir das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern», sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands Papierindustrie, Alexander von Reibnitz, «ZDFheute.de».
Einer der Haupt-Stimmzettellieferanten, die Bonner Druckerei Köllen Druck, sieht bei einem Wahltermin im Januar dennoch Risiken. Beim Druck würden immer Fehler passieren, Zeit für Korrekturen gebe es bei einem so engen Zeitkorsett aber nicht, erklärt Geschäftsführer Bastian Beeck im Magazin «Stern». Und die Auslieferung an die Kommunen könne erst im Januar erfolgen, da sie vor Weihnachten nicht möglich sei und ab Weihnachten bis Neujahr keine Speditionen zu bekommen seien, weil die oftmals ausländischen Fahrer dann in der Heimat seien. Das Zeitfenster für die Briefwahl würde daher «bei einem derart frühen Wahltermin besonders kurz ausfallen», sagt er und spricht von etwa einer Woche.
Wahl-Trauma Berlin – Was war 2021 passiert?
Ein schlechtes Beispiel gab es am 26. September 2021. Damals wurden in Berlin neben dem Bundestag auch Landes- und Bezirksparlamente gewählt, hinzu kam ein Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften. Auch verschärften Straßensperrungen wegen des Berlin-Marathons die Probleme in vielen Wahllokalen. Es gab lange Schlangen, fehlende oder falsche Stimmzettel, manche Wähler gaben ihre Stimme nach 18.00 Uhr ab, als schon Prognosen veröffentlicht wurden. Die Wahlen auf Landes- und Bezirksebene sowie Teile der Bundestagswahl mussten schließlich wiederholt werden.