Die russische Regierung zeigt sich nach dem ersten Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Kremlchef Wladimir Putin seit fast zwei Jahren offen für weitere Gespräche.
Die – von der ukrainischen Staatsführung scharf kritisierte – Unterredung des Kanzlers mit Putin sei offen und detailreich gewesen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. “Es gibt ziemlich tiefe Meinungsunterschiede”, betonte Peskow. Gleichwohl sei die Wiederaufnahme des Dialogs ein “positives Zeichen”. Russland bleibe offen für Gespräche.
Scholz hatte Putin auf eigene Initiative am Freitag angerufen – das erste Mal seit Dezember 2022. Er forderte erneut einen russischen Truppenabzug aus der Ukraine sowie die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen. Der russische Präsident dagegen bestand darauf, dass die von ihm angeführten Ursachen des Krieges in der Ukraine beseitigt, die neuen territorialen Realitäten anerkannt und die Sicherheitsinteressen Moskaus berücksichtigt werden müssten.
Aus russischer Sicht bedeutet das, dass die Ukraine etwa auf eine Nato-Mitgliedschaft und auch auf die von Russland annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja sowie die Schwarzmeer-Halbinsel Krim verzichten soll. Das lehnt die Führung in Kiew kategorisch ab.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das Außenministerium in Kiew bestätigten zwar Informationen, dass Scholz vorab über das geplante Gespräch mit Putin informiert habe. Allerdings kritisierten sie das Telefonat mit Nachdruck. Ein Sprecher des Außenministeriums erklärte, Unterredungen mit dem “Diktator” Putin seien bei den Bemühungen um einen gerechten Frieden in der Ukraine nicht hilfreich. Vor seinem Gespräch mit Putin hatte Scholz auch mit Selenskyj gesprochen.
Selenskyj: Scholz-Anruf bei Putin “öffnet Büchse der Pandora”
“Der Anruf von Olaf öffnet meiner Meinung nach die Büchse der Pandora”, betonte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. Damit würden nur weitere Gespräche ermöglicht. Scholz habe mit seinem Anruf Putins langgehegten Wunsch erfüllt, Russlands Isolation zu verringern und mit Gesprächen zu beginnen, die zu nichts führten. Putin habe dies jahrzehntelang so gemacht, sagte Selenskyj. “Das hat es Russland erlaubt, nichts an seiner Politik zu ändern, im Grunde nichts zu tun, und das führte gerade zu diesem Krieg.”
Zugleich bekräftigte Selenskyj, dass der Krieg nicht wie zwischen 2014 und 2022 mit Waffenstillstandsabkommen eingefroren werden dürfe. “Wir wissen, was zu tun ist und warnen: Es wird kein “Minsk 3″ geben, wir brauchen einen realen Frieden.” Damit bezog er sich auf die 2014 und 2015 von Deutschland und Frankreich vermittelten Friedensvereinbarungen für die Ostukraine, die nach der belarussischen Hauptstadt Minsk benannt wurden.
Russlands Außenminister: Warten auf Trumps Vorschläge
Nach Worten des russischen Außenministers Sergej Lawrow wartet Moskau nun auf die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angekündigten Vorschläge zur Beendigung des Krieges. Bisher könne sich Russland nicht vorstellen, wie Trump seine Ankündigung umsetzen wolle, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. “Wir betonen regelmäßig, dass ein Politiker, der sagt, dass er nicht für den Krieg, sondern für den Frieden ist, auf jeden Fall Aufmerksamkeit verdient”, sagte Lawrow.
Der Kreml hatte sich – wie Selenskyj – gegen ein neues Einfrieren des Konflikts ausgesprochen. Die russische Führung betont immer wieder, dass eine dauerhafte Lösung gefunden werden müsse.
Selenskyj erwartet schnelleres Kriegsende mit Trump
Selenskyj sagte dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Sender Suspilne, er rechne damit, dass der Krieg nach Amtsantritt der Trump-Regierung schneller enden werde. “Das ist ihr Ansatz, ihr Versprechen an die Gesellschaft. Und für sie ist das auch sehr wichtig”, sagte Selenskyj in einem vorab veröffentlichten Auszug des Interviews, das an diesem Samstag in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Trump hatte nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl am 5. November mit Selenskyj gesprochen, zu einer Unterhaltung mit Putin kam es nach Kremlangaben bisher noch nicht.
Putin hatte Trump öffentlich zum Sieg bei der Wahl gratuliert und sich offen gezeigt für eine Wiederaufnahme des Kontakts. Der Kreml erklärte zudem mehrfach, dass Moskau auch einen Anruf Trumps erwarte und offen sei für einen Dialog über die Beendigung des Krieges.
Russland hatte den Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen und damit Tod und Zerstörung über das Nachbarland gebracht. Im Osten der Ukraine haben die russischen Truppen derzeit die Initiative und melden täglich die Einnahme von Ortschaften. Das flächenmäßig größte Land der Erde hält inzwischen rund 20 Prozent der Ukraine besetzt.
G20-Gipfel dürfte Anlass des Gesprächs sein
Scholz hatte in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt, dass er zu einem Gespräch mit Putin bereit sei. Er wolle nur den richtigen Zeitpunkt finden. Das nun gewählte Datum für das Telefonat dürfte mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro zusammenhängen, zu dem Scholz am Sonntag aufbricht.
Die G20-Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte aller Kontinente ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die Nato-Staaten noch mit hochrangigen Vertretern an einem Tisch sitzen. Scholz plant dort kein Gespräch mit Minister Lawrow, wird nach Angaben aus seinem Umfeld aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.
Putin und Selenskyj in Rio nicht dabei
Putin selbst hat seine Teilnahme am Gipfel abgesagt, um nicht “die normale Arbeit des Forums zu stören”, das andere Themen habe. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag vor, weil ihm Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Last gelegt werden. Daher würde Putin in Brasilien eine Festnahme riskieren.
Die Ukraine gehört nicht zur G20. Selenskyj wurde von den brasilianischen Gastgebern auch nicht als Gast nach Rio eingeladen. (dpa-AFX/wr)