Solidarität? Nur wenn’s passt.

Foto: ADragan/iStock Stetoskop und holzmännchen
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Wichtige Schlagzeilen von den vergangenen Tagen: Boris Beckers aktuelle Frau Lilian de Carvalho Monteiro hat viel geweint – und Boris selbst angeblich noch mehr, weil es im Gefängnis nicht genug zu essen gab. Eine Influencerin macht Schlagzeilen, weil ihr Hund Brokkoli statt Fleisch bekommt. Und währenddessen echauffiert sich das Netz über die Frisur eines Fußballers oder das Hemd eines Schlagersängers. Die Republik diskutiert – und übersieht dabei die Themen, die uns wirklich betreffen.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hat Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht – wegen zu geringer Pauschalzuweisungen für Bürgergeldempfänger. Die Kosten für deren medizinische Versorgung – zum Beispiel Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte oder Medikamente – tragen die gesetzlichen Krankenkassen. Der Staat zahlt dafür jedoch nur unzureichende Pauschalen, sodass die Kassen auf einem Teil der Ausgaben sitzen bleiben. Nach Ansicht des Verbandes ist dies die Ursache für das jährliche Finanzierungsloch von rund zehn Milliarden Euro.

Um diese Lücke zu schließen, fordert der Verband einen entsprechenden Ausgleich vom Bund. Ohne diese Korrektur drohen Beitragserhöhungen auf Rekordniveau. Das ist keine Randnotiz, sondern eine Schieflage mit Millionen Betroffenen: Die fehlenden Milliarden belasten nicht alle Bürger, sondern ausschließlich die GKV-Mitglieder. Teilt man die Lücke auf die rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten auf, ergibt sich ein Durchschnitt von 142 Euro pro Kopf und Jahr. Legt man die Zahl derer zugrunde, die tatsächlich Beiträge einzahlen, ist diese Zahl noch viel höher.

Dabei sind gerade sie ohnehin schon stark belastet: Im Schnitt zahlen gesetzlich Versicherte 17,05 % vom Bruttolohn. Privatversicherte zahlen zwar durchschnittlich 623 Euro im Monat, doch profitieren zum Beispiel Beamte, die oft nur 200 bis 300 Euro selbst aufbringen müssen. Von der Zusatzlast für Bürgergeldempfänger sind sie komplett ausgenommen.

Die Verteilung zeigt das Ungleichgewicht deutlich: 99 % der Bürgergeldempfänger sind pflichtversichert in der GKV, nur 0,5 bis 1 % bleiben in der PKV. Für diese kleine Minderheit übernimmt der Staat sogar individuelle Zuschüsse. Solidarität gibt es also nur innerhalb der GKV – nicht im Gesamtsystem.

Ich hätte eine viel größere Empörung erwartet – in den sozialen Medien oder auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Stattdessen oft nur ein Achselzucken. Dabei sind es genau diese „kleinen Beträge“, die in der Masse große Ungerechtigkeiten schaffen.

Darum ist die Klage der Krankenkassen nicht l’art pour l’art. Es geht um eine grundsätzliche Frage: Gilt Solidarität im Gesundheitswesen für alle – oder nur für eine bestimmte Gruppe? Wenn der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommt, muss er nachzahlen. Für die Versorgung der Bürgergeldempfänger mit Gesundheitsleistungen sind die Steuerzahler zuständig, nicht eine bestimmte Versichertengruppe. 

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