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Sonja Lechner, Kunsthistorikerin und Netzwerkerin

Foto: Sung-Hee Seewald
Foto: Sung-Hee Seewald
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Die gebürtige Münchnerin Dr. Sonja Lechner ist Kunsthistorikerin, Kuratorin, Kunstberaterin und geschäftsführende Gesellschafterin ihres Unternehmens Kunstkonnex Artconsulting.

Courage: Wie wird man Kunsthistorikerin? Und was macht eine Kunsthistorikerin genau?

Sonja Lechner: Ich habe Kunstgeschichte studiert und mit dem Magister Artium abgeschlossen, bevor ich mit einer Arbeit über Caravaggio promoviert wurde. Uns KunsthistorikerInnen erwartet kein einheitliches Berufsfeld, wir sind von Museen über Galerien, Auktionshäuser, Archive und Kulturinstitutionen in vielfältigen Bereichen tätig – oder eben in der Selbstständigkeit eines eigenen Unternehmens so wie ich.

Wie hast Du den Weg zur Kunst gefunden?

Ich habe zunächst Geschichte studiert und bin dann eines Tages in einer kunsthistorischen Vorlesung gelandet: Als die Professorin ein Werk von Jan van Eyck an die Wand projizierte – bis heute eines der mir liebsten, die Arnolfini-Hochzeit aus der National Gallery – und mir vor Augen geführt wurde, dass wir vor Erfindung der Fotografie kein Bild von der Vergangenheit hätten, gäbe es die Kunst nicht, war mir klar: Ich bin hier zu Hause.

Wie sieht ein typischer Tag im Leben der Sonja Lechner aus?

Ein Arbeitstag beginnt bei mir mit Müsli und unendlich viel schwarzem Tee: Noch zu Hause checke ich alle Mails, bevor es zu den KundInnen, KooperationspartnerInnen oder KünstlerInnen geht. Mein Unternehmen Kunstkonnex baut Firmenkunstsammlungen auf, mein Unternehmen Kunstkonsens Privatsammlungen: Für beide Rezipienten geben wir also Empfehlungen ab, was in Galerien, in Auktionshäusern, auf Kunstmessen und in Ateliers sehens- sowie kaufenswert wäre – die Entscheidung über letzteres fällt dann allerdings immer die KundIn selber. Ich bin also an meinem Arbeitstag viel unterwegs, entweder in München oder europaweit, um alles in Augenschein zu nehmen, was der Kunstmarkt bietet, die Abende gestalten sich aber immer ähnlich: Wenn kein Geschäftsdinner ansteht und ich meine Familie versorgt habe, liege ich im Bett und lese.

Thema Equal Pay: 2018 schrieb die Engländerin Jenny Saville Auktionsgeschichte, als ihr Ölgemälde „Propped“ von 1992 für gut zehn Millionen Euro versteigert wurde und sie damit zur teuersten lebenden Künstlerin avancierte. Das ist viel Geld, aber viel weniger als ein Jeff Koons, Jasper Jones oder David Hockney erzielen. Woran liegt das?

Der Markt zeigt weiterhin ein immenses Gefälle, was die monetäre Bewertung von Kunst betrifft. Ein symbolkräftiges Beispiel ist der in seiner Zuschreibung an Leonardo da Vinci immer noch umstrittene „Salvador Mundi“, der 2017 von Christie’s für über 450 Millionen Dollar versteigert wurde. Das teuerste Werk einer Künstlerin erzielte gerade einmal ein Zehntel dieses Preises: Georgis O’Keeffes „Jimson weed“ wurde 2014 von Sotheby’s für über 44 Millionen Dollar verauktioniert. Wenn wir die teuersten lebenden Künstlerinnen und Künstler vergleichen, ist das Ganze nicht weniger augenfällig: Jenny Saville „Propped“ etwa erzielte wie Du ansprachst über 10 Millionen Euro, Jeff Koons „Rabbit“ über 81 Millionen Euro. Dieser unfassbare Unterschied dominiert vor allem im Bereich der Blue Chip KünstlerInnen, also des high end Marktes, daher ist es um so wichtiger, dass an den Kunsthochschulen früh entgegengesteuert wird.

Sehr viel passiert hier seit Professorinnen, die selber als Künstlerinnen in ihrer Karriere mit den Schwierigkeiten des Marktes konfrontiert waren, sich für ihre Studentinnen einsetzen – in München etwa haben wir an der Akademie mit Karen Pontoppidan eine Frau an der Spitze, zudem momentan mehr Professorinnen als Professoren. Aus meiner Sicht müsste jedoch das Fach „Kunstmarkt“ in der Ausbildung noch weiter vertieft werden, scheint es doch gerade für viele Künstlerinnen (wie leider generell für uns Frauen, mich eingeschlossen) noch immer schwierig zu sein, den eigenen Wert ganz selbstbewusst auch monetär zu beziffern. Glücklicherweise ist für die „emerging artists“ weitgehend Gleichberechtigung erreicht, also für diejenigen, die noch studieren oder gerade im Begriff sind, Bekanntheit zu generieren. Für alle anderen gilt leider weiterhin, dass es zwar glücklicherweise einige Künstlerinnen gibt, die hinsichtlich der musealen Ankäufe, der Ausstellungsdichte und der Präsentation auf Kunstmessen und Biennalen ihren männlichen Kollegen nicht hinterherhinken müssen, dass die Majorität des gesamten Kunstgeschehens jedoch noch keine Gleichberechtigung verzeichnet.

Aus der Vergangenheit sind uns nur wenige Künstlerinnen überliefert. Aus der Schule kennen wir vielleicht Kalypso und Timarete, Hildegard von Bingen und Diemut von Wessobrunn, Tintorettos Tochter Marietta Robusti und Mayken Verhulst oder wir haben in der gerade zu Ende gegangenen „Flowers“-Ausstellung in München Maria Sibylla Merians Blumenmalerei bewundert, aber in Museen und auf Auktionen begegnen uns kaum Werke, deren Schöpfer Frauen waren. Warum ist das so?

Ich denke, dass der momentane Zustand noch immer ein Nachhall der Geschichte ist, welcher Frauen weitgehend erst nach dem Ersten Weltkrieg den Zugang an Akademien ermöglichte. Entsprechend fanden Frauen in der Kunstgeschichte kaum statt – viele Museen haben weltweit bis heute kaum Werke von Künstlerinnen in ihrem Bestand, obwohl Aktionen wie diejenigen der Guerilla Girls bereits in den 1980er Jahren auf diesen Missstand hinwiesen. Linda Nochlins bahnbrechende Anklage „Why have there been no great women artists?“ datiert gar aus dem Jahr 1971! Daher ist es aus meiner Sicht eine der vordringlichsten Aufgaben von uns Kunsthistorikerinnen, die Kunstgeschichte neu zu schreiben, sie zu bereichern um diejenigen Frauen, die allen Umständen zum Trotz in der Vergangenheit als Künstlerinnen wirkten. Und gleichzeitig diejenigen vorzustellen, die dies heute tun – das Ziel und die Hoffnung zugleich sollte jedoch stets sein, dass künftig ein Kunstwerk gänzlich unabhängig vom Geschlecht seiner SchöpferIn rezipiert werden kann, alleinig als Kunst. Voraussetzung hierfür ist jedoch eben, dass für alle Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart und der Vergangenheit gleiches Recht und gleiche Wertschätzung gilt. Aus meiner Sicht sollten daher Ankaufsetats stets auch an Bedingungen geknüpft werden, die in Museen Vielfalt Einzug lassen halten: Vielfalt im Sujet der Kunstwerke, Vielfalt aber auch in Bezug auf Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Herkunft, Religion und Kultur der Künstlerinnen und Künstler.

Der Ladies Art Lunch ist mittlerweile zu einer Institution im Raum München geworden: Vor zehn Jahren hattest Du die Idee, Frauen in Führungspositionen aus unterschiedlichsten Berufen zu einem interdisziplinären Lunch in ein Museum zu bitten. Seither fand das Format im Lenbachhaus, der Villa Stuck, dem Museum Brandhorst, der Städtischen Galerie Rosenheim, auf Herrenchiemsee und vielen weiteren Kunstinstitutionen statt und verknüpfte Frauen in verschiedensten Bereichen. Zum zehnjährigen Bestehen des Ladies Art Lunches hast Du nun zu einem Ladies Art Weekend eingeladen. Wie bist Du auf die Idee gekommen, den Art Lunch zu einem Art Weekend auszuweiten? Brauchen Frauen mehr Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich zu verknüpfen, um dann auch beruflich miteinander zu kooperieren. Also plump gesagt: Brauchen Frauen mehr Zeit als Männer, um auf den Punkt zu kommen?

Die Idee, dem interdisziplinären Austausch von Frauen mehr Raum zu geben als nur einige Stunden des gemeinsamen Mittagessens in einem Museum, schlummerte schon lange in mir, als Katja Köllner mir vorschlug, doch ein Wochenende daraus zu machen. Im Seehotel am Kaiserstrand in der Nähe von Bregenz fanden wir daher den idealen Start für das allererste Ladies Art Weekend, wird dort doch nicht nur die Ausstellung der Münchner Künstlerin Iris von Carnap gezeigt, auch ist das Kunsthaus Bregenz in Sichtweite, so dass wir dort noch eine Führung durch die Exposition von Michael Armitage genossen. Die Kunst rahmte also die 2 Tage Netzwerken und ja: Ich denke, wir Frauen brauchen tatsächlich länger, um auf den Punkt zu kommen, weil wir nicht nur einen einzigen Punkt des Austausches anstreben, sondern derer unzählige. Wir sprechen über Politik, Wirtschaft, Männer, Kinder, Sport, Kultur, Ernährung  – und dann eben auch über berufliche Verknüpfungsmöglichkeiten. Es freut mich daher immer immens, wenn ich im Nachgang von Freundinnen höre, die sich bei einer meiner Veranstaltungen kennengelernt haben, von Kooperationspartnerinnen, neu besetzten Aufsichtsrätinnen, Sponsorinnen und vielerlei mehr: Wenn Macherinnen und Gestalterinnen aufeinandertreffen, ist die Vielfalt an entstandenen Synergien nahezu unendlich!

Fotos (© Sung-Hee Sewald) : Ladies Art Weekend im Seehotel am Kaiserstrand, Foto links: Pamela Fella (LA MER Germany), Katja Köllner (Maison Rouge), Janna-Lena Baierle (Hiscox), Dr. Sonja Lechner, Foto rechts: Axel Pfefferkorn (Seehotel am Kaiserstrand), Dr. Sonja Lechner

Provokative Frage: Glaubst du an Solidarität unter Frauen? Gibt es Unterschiede zu Männern? Was können Frauen besser als Männer?

Ich glaube ganz fest an die Solidarität unter Frauen – allerdings mit einer Einschränkung: Nur wer sein Leben autark lebt, wer glücklich ist mit dem aus eigener Kraft Erreichten, kann aus meiner Erfahrung gönnen und vergleicht sich nicht ständig mit anderen in dieser gänzlich unproduktiven Infragestellung, wer denn erfolgreicher, jünger, dünner, schöner sei. Diese Frauen, die andere klein machen, um sich selbst Größe zu verliehen, oder Frauen, die nur nehmen, anstatt auch zu geben, die also mein Netzwerken ausnützen, ihre eigenen Kontakte aber nie mit anderen Frauen teilen, lade ich nicht mehr ein. Ich habe ja aus Gründen der Gleichberechtigung einige Jahre nach dem Ladies Art Lunch auch den Gentlemen Art Lunch ins Leben gerufen und kann aus der Erfahrung sagen: Männer können es besser, direkt und ohne Umschweife auf mögliche berufliche Anknüpfungspunkte zu sprechen zu kommen, also Seilschaften zu bilden, Frauen hingegen können es besser, nicht nur den einen, den beruflichen, Kanal zu bespielen, sondern sich gegenseitig in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit wahrzunehmen und entsprechend zu huldigen.

Du bezeichnest Dich als leidenschaftliche Leseratte. Was liest Du gerade, was kannst Du uns empfehlen?

Gerade habe ich „Lessons in chemistry“ von Bonnie Gramus beendet und kann es von Herzen empfehlen: Die Schilderung einer Chemikerin im Amerika der 1950er Jahre, die, als sie von Männern an einer akademischen Karriere gehindert wird, ihre intellektuellen und feministischen Inhalte via Kochsendung im Fernsehen an das Volk bringt, ist grandios – wahr und witzig, traurig und tröstend zugleich.

Gab es ein Buch, bei dem Du dachtest: „Dadurch ändert sich mein Leben“? Und: Hat sich Dein Leben dadurch tatsächlich verändert?

Mein Leben ändert sich bei der Lektüre jedes Buches, das meine Sprache spricht, als sei es für mich geschrieben worden, als habe der Autor oder die Autorin mein Erleben geteilt, auch wenn es vor mir stattfand – Bücher reichen einem die Hand, selbst über Jahrhunderte hinweg: In deren Welten aus unserer Realität entfleuchen zu können, empfinde ich als elementar.

Unabhängig von der Lektüre so eines Buches: Hast Du Dein Leben schon einmal radikal verändert?

Die radikalste Veränderung war wohl, mich mit meinem Unternehmen direkt nach der Promotion selbstständig gemacht zu haben als Mutter eines Kleinkindes – eine der besten Entscheidungen meines Lebens!

Wenn Du Dir einen Gegenstand Deiner Wahl aneignen könntest: welchen?

Selbstverständlich ein Kunstwerk! Ein Caravaggio in meinem Zuhause wäre nicht zu verachten …

Wenn Du eine wiederbelebte Person aus der Vergangenheit zum Abendessen einladen könntest – wer wäre das?

Das wäre keine Berühmtheit, sondern mein verstorbener Vater, der weltbeste aller Papis, der mir täglich fehlt.

Als geborene Münchnerin mit einer finnischen Mutter: Lieber ein Haus am Meer oder in den Bergen?

Hier schlagen zwei Herzen gleichberechtigt in meiner Brust: das Finnische wie das Bayerische … Mein Arkadien wäre also ein Holzhaus an einem finnischen See für den Sommer und eine Hütte in den Bergen für die restlichen Jahreszeiten.Sonja Lechner, Kunsthistorikerin und Netzwerkerin

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