Netanjahu soll der deutschen Außenministerin bei einem Treffen Aufnahmen eines mit Lebensmitteln gefüllten Markts in Gaza gezeigt haben. Einem Bericht zufolge führte dies zu einem Streit.
Das Auswärtige Amt hat einen Bericht über einen Disput zwischen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über die Lage im Gazastreifen als irreführend bezeichnet. Kernpunkte der Darstellung des einstündigen Treffens der beiden am Mittwoch seien falsch, schrieb das Auswärtige Amt auf der Plattform X (vormals Twitter). Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, äußerte sich gleichlautend.
Eine Journalistin des israelischen TV-Senders Channel 13 hatte zuvor auf X von einem schwierigen Treffen zwischen Baerbock und Netanjahu berichtet. Grund soll demnach gewesen sein, dass Baerbock Aufnahmen aus dem Gazastreifen gezeigt wurden, auf denen mit Lebensmittel gefüllte Märkte zu sehen waren. Die Grünen-Politikerin habe daraufhin auf den Hunger der Menschen in dem Küstengebiet hingewiesen und Netanjahu angeboten, Bilder hungernder Kinder auf ihrem Handy zu zeigen.
Netanjahu soll erwidert haben, sie solle sich Fotos der Märkte und auch von Menschen am Strand anschauen, es gebe keine Fälle von Hunger dort. Baerbock riet ihm dem Bericht zufolge dazu, die Bilder nicht zu zeigen, da sie nicht der Realität im Gazastreifen entsprächen.
Netanjahu antwortet mit Nazivergleich
Israels Regierungschef wiederum soll darauf lautstark erwidert haben, dass die Fotos echt seien und Israel nicht wie die Nazis eine erfundene Realität zeige. Die Nazis hatten 1942 etwa ein Filmteam einen Propagandafilm mit gestellten Szenen des Alltags im Warschauer Ghetto drehen lassen.
Baerbock solle Netanjahu daraufhin gefragt haben, ob er sagen wolle, dass etwa Mediziner im Gazastreifen sowie internationale Medien nicht die Wahrheit berichteten.
Fotos von mit Obst und Gemüse gefüllten Marktständen
Die Aufnahmen der mit Obst und Gemüse gefüllten Marktstände hatte vor wenigen Tagen die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde veröffentlicht. Sie zeigen Märkte im Norden des besonders vom Lebensmittelmangel betroffenen Küstengebiets. Hilfsorganisationen und Cogat zufolge kamen dort jüngst einige Hilfen an. Helfern und Anwohnern zufolge reichen diese aber noch lange nicht aus.
Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) war die Rate der im Gazastreifen einfahrenden Lastwagen mit Nahrungsmitteln im März und April aber insgesamt nur halb so hoch wie im Januar. «Derzeit kommen immer noch zu wenige Lastwagen rein, es gibt weiter lange Wartezeiten an den Checkpoints und die anhaltenden Kämpfe erlauben keine sichere flächendeckende Verteilung von Hilfe», sagte der Leiter des Berliner Büros des UN-Welternährungsprogramms, Martin Frick. Noch immer gelange aber nicht genügend Hilfe vor allem über den wichtigen Landweg in das Gebiet, sagte Baerbock am Mittwoch bei ihrem Besuch in Israel. Sie forderte dabei erneut eine Ausweitung der Hilfslieferungen und eine sichere Verteilung der Güter vor Ort.
USA fordern Israel zu mehr humanitärer Hilfe auf
Die USA hatten angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen jüngst ihren Verbündeten Israel zur raschen Ausweitung der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung aufgefordert. Das israelische Kriegskabinett beschloss daraufhin Anfang April, den Grenzübergang Erez im Norden des Küstengebiets sowie vorübergehend den Hafen von Aschdod für Hilfslieferungen zu öffnen.
Israel argumentiert, es komme ausreichend Hilfe in den Gazastreifen, das Problem sei die Verteilung der Lebensmittel vor Ort.
Die Aufnahmen etlicher badender Palästinenser am Strand von Dair al-Balah im Zentrum des Gazastreifens, von denen Netanjahu bei seinem Treffen mit Baerbock ebenfalls sprach, verbreiteten sich jüngst im Netz und in israelischen Medien. Augenzeugen berichteten der Deutschen Presse-Agentur, sie würden sich im Meer angesichts der derzeit hohen Temperaturen abkühlen und dort wegen des Wassermangels auch duschen.
Furcht vor Krankheiten
«Ich habe keine Ventilatoren, Klimaanlage oder Strom, womit wir diese Situation bewältigen könnten», sagte die Palästinenserin Aridsch Nassar, die in einem Zelt in der Stadt im Zentrum des Gazastreifens untergekommen ist. Tagsüber seien die Temperaturen im Zelt unerträglich. Deshalb badeten sie und ihre kleinen Kinder im Meer. Sie wasche dort auch die Kleidung der Familie. Aufgrund des Wassermangels fürchtet sich die Frau vor Krankheiten.
«Die Menschen draußen denken, dass wir das Meerwasser genießen», sagte der 55 Jahre alte Samir al-Ajubi der dpa. Das Baden sei aber vielmehr den äußeren Umständen geschuldet. «Wir müssen täglich duschen und Wasser finden wir nur im Meer.» Der fünffache Vater hat sein Zelt am Ufer des Strandes aufgeschlagen. Zuvor war er wegen der drohenden israelischen Offensive aus der Stadt Rafah im Süden des Küstengebiets geflohen.
1,5 Millionen leben in Rafah unter schwierigsten Bedingungen
Als Auswirkung des Gaza-Krieges mussten Hunderttausende Palästinenser den Norden des Gazastreifens in Richtung Süden verlassen. In Rafah leben nach Schätzungen von UN-Organisationen rund 1,5 der 2,2 Millionen Palästinenser unter schwierigsten Bedingungen.
Baerbock hatte bei ihrem siebten Israel-Besuch am Mittwoch unter anderem Netanjahu und Staatspräsident Izchak Herzog getroffen. (dpa/wr)