Macht Familie glücklich? Und sind Menschen ohne Kinder weniger zufrieden als Eltern? Ganz so einfach ist es nicht. Auch wenn familiäre Beziehungen viel zum persönlichen Glücksempfinden beitragen können.
Ein Gastbeitrag von Vera Claas
Auf der Suche nach dem Glück: Was uns wirklich zufrieden macht
Glück – was ist das nochmal? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Philosophen, Psychologen und Soziologen arbeiten sich seit Jahrtausenden an dem Thema ab. Ein für mich greifbarer und viel erforschter Ansatz im Verstehen von Glück ist das „subjektive Wohlbefinden“. Psychologen stellen dabei Fragen wie „Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Leben?“. Und wenn die Antwort darauf „sehr zufrieden“ ist, spricht das dafür, dass die Befragten wirklich glücklich sind.
Im Kleinen spüren wir Glück in Momenten, in denen wir mit uns und der Welt um uns herum im Reinen sind. Beim Plaudern über alte Zeiten mit Studienkolleg:innen, beim Doppelkopf-Stammtisch oder auf dem Fußballfeld. Ich spüre pure Glückshormone, wenn mich beim Yoga-Workout auf der Dachterrasse oder beim Wandern in den Bergen die Morgensonne auf der Haut kitzelt. Glück und Glücksmomente machen auf eine gute Art süchtig. Wir streben danach und wollen mehr davon.
Wie hängen Glück und Familie zusammen?
Seit 1938 untersucht ein Team an der Uni Harvard an über 2000 Amerikaner:innen, was ein erfülltes, glückliches Leben ausmacht. Je älter wir werden und je mehr wir unser Alter in Knochen und Gelenken spüren, desto mehr denken wir vielleicht an Gesundheit als wichtigsten Glücksfaktor. Ein gesunder Mensch hat 100 Wünsche, ein kranker nur noch einen – das stimmt wahrscheinlich oft. Aber was auch stimmt: Glück und Gesundheit bedingen sich weniger, als wir denken. In beiden Fällen ist eher die Qualität unserer Beziehungen der entscheidende Faktor. Menschen mit guten Beziehungen sind nicht nur glücklicher, sie leben auch länger.
Dabei kommt es darauf an, dass die Beziehungen eng sind, vertrauensvoll. Dass wir Menschen haben, die wir brauchen und auf die uns verlassen können – und umgekehrt. So enge Bindungen haben wir naturgemäß zuerst zu unseren Eltern und Geschwistern. „Blut ist dicker als Wasser“, sagt man. Als Kinder haben wir zusammen mit den Geschwistern heimlich ferngesehen und uns gegenseitig getröstet, wenn die Eltern danach vermeintlich unfair geschimpft haben. Auf unsere Eltern haben wir uns auf noch viel substanziellere Art und Weise verlassen. Das prägt uns als Menschen, aber auch die Beziehungen zu Eltern, Brüdern und Schwestern.
Das Gleiche gilt spiegelbildlich für eigene Kinder: Ohne Eltern oder eine andere Person, die sich kümmert, kann ein Baby nicht überleben. Im günstigsten Fall lernt es, dass die Eltern da sind, wenn es sie braucht. Eltern und Kind – das prägt. Die Beziehungen im engen Familienkreis sind die erste mögliche Quelle für ein glückliches (und gesundes) Leben.
Machen Kinder also glücklicher?
Top – dann also Kinder kriegen, eine Familie gründen und schon ist die Sache geritzt? So einfach ist es auch nicht. Die Gleichung geht nur auf, wenn die Beziehungen gepflegt werden und erhalten bleiben. Wenn sich Geschwister aus den Augen verlieren, Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen oder die Paarbeziehung nur noch aus Reibereien besteht, kann sich trotz (großer) Familie die Einsamkeit breitmachen. Man hat schon Monate nichts mehr voneinander
gehört, trifft sich nur noch zu Pflichtbesuchen an Weihnachten oder runden Geburtstagen. Die Studienlage ist eindeutig: Menschen mit Kindern sind per se nicht glücklicher als Menschen ohne Kinder.
Kinder – oder etwas breiter gefasst Familie – sind kein Garant für ein glückliches, erfülltes Leben. Eine Familie ist eine gute Ausgangsbasis. Doch Familienbeziehungen müssen gepflegt werden – wie jede andere Beziehung auch. Um in Kontakt zu bleiben und das Leben gemeinsam mit der Familie zu gestalten muss man nicht im gleichen Dorf wohnen, gerade als Erwachsene nicht. Familienbeziehungen nicht abbrechen zu lassen trägt zu einem guten und glücklichen Leben bei. Aber Moment – gilt das nicht für jede Beziehung?
Und Freunde? Sind Freunde die Familie, die man sich aussucht?
Absolut. Enge Freundschaften, gute Beziehungen zu den Nachbarn, auch gute Beziehungen zu den Arbeitskolleg:innen machen uns ebenso glücklich (und erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein langes Leben). Dabei geht es nicht um die Anzahl, sondern um die Qualität der Beziehungen. Habe ich jemanden, den ich anrufen kann, wenn ich nachts einen schlimmen Alptraum hatte? Oder wenn ich das Hinterrad meines Fahrrads wechseln muss und nicht weiß, wie? Feiert jemand mit mir meinen Geburtstag? Kann ich meine Freuden und Ängste mit jemandem teilen? Für all das eignen sich Freundschaften ganz hervorragend – genauso wie Familienbeziehungen. Das eine ist nicht besser als das andere, denn letztlich müssen wir alle Beziehungen pflegen, damit uns unsere Beziehungen uns erfüllen – und das ist kein Selbstläufer.
Und jetzt – wie kann das gehen?
Hier ein paar einfache Tipps, um Deinen Beziehungen auf die Sprünge zu helfen:
– Seit Covid feiern wir alle viel weniger. Überleg Dir etwas, das Du feiern kannst und hab mal wieder einen lustigen Abend. (Wie wäre es mit „Thanksgiving“, „Vollmond“, „Neumond“ oder einem Krimi-Dinner? Manchmal braucht das Kind nur einen Namen…) Mit den Mädels, den alten Studis, der Familie. Vielleicht naht Dein Geburtstag – top, selbstverständlich lädst Du ein. So jung kommen wir nicht mehr zusammen.
– Ruf doch mal wieder an! Mit welchen wichtigen Menschen hast Du schon ewig nicht mehr gesprochen? Einfach mal quatschen – das kann das Zünglein an der Waage dafür sein, dass die Beziehung hält.
– Und die Sache mit der Familie? Das ist oft nicht so leicht. Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten – jeder hat seinen eigenen Kopf und klar kommt es da zu Konflikten. Aber bevor man einen Streit in der Familie wirklich eskalieren lässt, lohnt es sich, einmal mehr drüber zu schlafen. Wenn sich die ersten Emotionen gelegt haben, fällt es leichter, über den eigenen Schatten zu springen. Aus Wut, Trauer oder Verletztheit heraus wertvolle Beziehungen zu gefährden ist selten eine gute Idee. Das gilt auch für alte Freunde. Unsere ältesten Beziehungen sind meist die stabilsten – und gerade für sie lohnt es sich zu kämpfen.
Was hat Glück also mit Familie zu tun? Viel, aber nicht alles. Familiäre Beziehungen sind oft die ersten und tiefsten Bindungen, die wir erleben. Sie prägen unsere Identität sehr stark. Enge Verbindungen zu Eltern, Geschwistern und anderen Familienmitgliedern können unser Glücksgefühl erheblich steigern und sind deshalb besonders wertvoll. Es lohnt sich diese Beziehungen zu pflegen und zu schützen. Doch das bedeutet nicht, dass Menschen ohne Kinder oder Geschwister zwangsläufig weniger glücklich sind. Oder dass Eltern glücklicher sind als Menschen ohne Kinder. Auch tiefe Freundschaften und berufliche Beziehungen können sich im Laufe des Lebens zu kraftvollen Bindungen entwickeln, die uns glücklich machen.