Vier Flüsse, Himmelstheater über dem Teufelsmoor und mittendrin eine Künstlerkolonie: Die Radtour «Stadt, Land, Kunst» startet in Bremen und verbindet auf einzigartige Weise Natur und Kultur.
Worpswede ist beliebt. Kunstfreunde aus aller Welt begeben sich in der ehemaligen Künstlerkolonie auf Spurensuche. Es sind Hunderte, an manchen Tagen sogar Tausende, die den Ort nordwestlich von Bremen besuchen, Tagestouristen vor allem.
Und fast alle kommen mit dem Auto. Dabei ist eine Annäherung mit dem Fahrrad nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch sonst empfehlenswert. So taucht man doch ein in eine Landschaft, die einst schon so unterschiedliche Künstler wie Fritz Mackensen und Paula Modersohn-Becker faszinierte.
Die Gebrauchsanweisung für einen nachhaltigen Worpswede-Ausflug geht so: Man fahre mit dem Zug nach Bremen, leihe sich ein Rad und starte zu einer 62 Kilometer langen Rundfahrt, die sich «Stadt, Land, Kunst» nennt und für die man sich mindestens einen, besser aber zwei oder drei Tage Zeit nehmen sollte.
Dem Lauf von vier Flüssen folgen
Direkt hinter dem Bremer Hauptbahnhof taucht bereits der erste Wegweiser auf: ein weißer Torfkahn auf rotem Grund. Wobei man oft gar keine Schilder braucht, sondern einfach nur dem Lauf eines Flusses folgt, in diesem Fall sind es sogar gleich vier: Wümme, Hamme, Beek und Wörpe.
Zunächst führt der Weg durch den Bremer Bürgerpark, früher eine baumlose Viehweide, bis der Landschaftsgärtner Wilhelm Benque hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine grüne Oase schuf. Wer sonst nichts sieht von Bremen, der könnte die Stadt für eine riesengroße Parkanlage halten, wären da nicht, nur ein paar Radumdrehungen weiter, eine Autobahn und ein Müllheizkraftwerk. Wobei dieser Hinweis kleinlich ist angesichts dessen, was folgt.
Denn plötzlich steht man vor einem schier endlosen Grün, genauer: dem Blockland, lauter Feuchtwiesen, durchzogen von langen Entwässerungsgräben. Holländische Siedler haben das Land an der Wümme vor Jahrhunderten urbar gemacht, sieben der alten Wohnwarften sind noch vorhanden. Auf einer thront der Hof Bavendamm, ein Biobetrieb mit angeschlossenem Café.
Wenn es hier Heißgetränke und Kuchen gibt, ist auf den Radwegen noch mehr los als sonst, vor allem an Wochenenden. In der Nebensaison ist man dagegen gut beraten, sich vorab über die Öffnungszeiten zu informieren.
Mit dem Boot zum Gottesdienst
Eigentlich bräuchte man in dieser flachen Gegend kein E-Bike, würde der Wind nicht immer wieder steif von vorn kommen, wie der Norddeutsche zu sagen pflegt. Und der Weyerberg, die einzige nennenswerte Erhebung weit und breit, kommt ja noch. Ansonsten ist man bestenfalls beim Wümmedeich gefordert.
So radelt man still vor sich hin, mal leicht erhöht auf dem Deich, mal hinter dem Deich, bis in der Ferne die rote Spitze eines Kirchturms aus dem satten Grün ragt: Heiliger Georg im Lande der Gräser – ein großer Name für die eher kleine Kirche der Kirchengemeinde St. Jürgen. Bereits im 12. Jahrhundert errichteten hier Siedler ein Gotteshaus auf einer Warft.
Noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein konnte die Kirche oft nur mit dem Boot erreicht werden, weil das umliegende Niedermoor unter Wasser stand. «Es gibt alte Fotos, da laufen die Leute vor der Kirche Schlittschuh», sagt Pastor Wildrik Piper. Mit etwas Zeit im Gepäck lassen sich im Kircheninnern die dezenten Malereien, darunter ein Bildnis des Teufels, oder auch die Inschriften der alten Grabsteine angemessen studieren.
Weites Land, hoher Himmel
Die nächste Station: Tietjens Hütte. Hier kann der geneigte Radfahrer bei Bratkartoffeln über das schwere Los der Moorbauern sinnieren, die früher mit ihren Kähnen auf der Hamme unterwegs waren. Auf dem Fluss transportierten sie den Torf, den sie im Teufelsmoor gestochen hatten, nach Bremen – Brennstoff für die Hansestädter.
Tietjens Hütte war eine von sieben Hütten, an denen sie Rast machten. Kleiner, uriger und bis heute ohne Strom ist Melchers Hütte ein paar Kilometer flussaufwärts. Früher, erzählt Besitzer Wolfgang Teichmeier, haben viele Torfbauern ihre Einkünfte in der Hütte gleich wieder umgesetzt. Heute lassen sich vor allem Radfahrer gern unter den Bäumen im Biergarten nieder.
Ab Melchers Hütte macht der Weg eine Schleife durch die Hammeniederung. Das Naturschutzgebiet vermittelt eine Ahnung davon, wie das Teufelsmoor einst aussah. Der Blick geht selbst für norddeutsche Verhältnisse unendlich weit, bleibt höchstens mal hängen an einem Heuballen oder an grasenden Rindern und wird ansonsten nur durch einen Sandrücken begrenzt, auf dem sich ein paar Windräder drehen. Und in Gewässern wie der Beek tummeln sich Fische mit so eigentümlichen Namen wie Schlammpeitzger und Moderlieschen.
Stippvisite im Weltdorf
Worpswede liegt am Fuße des Weyerbergs, der gut 54 Meter aufragt und im Grunde auch nur ein sandiger Geestrücken ist. Es geht leicht bergauf, vorbei an Bauernhöfen im alten Ortskern, vorbei am Worpsweder Bahnhof, den der Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler einst entwarf, vorbei auch an der Kirche, in der Blumenmotive von Paula Modersohn-Becker die Pfeiler der Empore schmücken.
Und dann mitten hinein in das Herz des selbst ernannten «Weltdorfes» mit seinen sechs Museen und den ungezählten Galerien und Ateliers. Allen Radlern, die keine Übernachtung gebucht haben, schwant spätestens jetzt, dass das ein Fehler gewesen sein könnte.
Man kann Tage damit verbringen, den Spuren der Künstler zu folgen. Fritz Mackensen war der erste, ein bedürftiger Kunststudent noch, der 1884 der Einladung einer Worpsweder Kaufmannstochter folgte. Mackensen war begeistert von Landschaft und Licht. Er blieb. Viele andere folgten.
Die Worpsweder Kolonie wurde zum Treffpunkt bedeutender Künstler des Impressionismus, des Jugendstils, des Expressionismus. Kolonie-Mitbegründer Otto Modersohn, der Paula Becker heiratete, war mit Rainer Maria Rilke befreundet, den es ebenfalls nach Worpswede zog. Doch die Künstlergemeinschaft bekam später Risse. Mackensen diente sich den braunen Machthabern an, Vogeler starb verarmt in der Sowjetunion.
Birkenallee Richtung Bremen
Dass das Land zwischen Hamme und Wümme trockenen Fußes betreten werden kann, ist Jürgen Christian Findorff zu verdanken. Der «Vater aller Moorbauern» hat das Teufelsmoor vermessen und entwässert. Und ab 1751 insgesamt 42 neue Dörfer gegründet.
Südwede ist so ein Dorf, schnurgerade und von Birken gesäumt wie viele andere im Teufelsmoor. In fast gerader Linie geht es zur Wörpe, früher eine Art Zubringer für Torfkähne. Dort, wo die Wörpe in die Wümme mündet, erregt eine eigentümliche Holzkonstruktion Aufmerksamkeit. Es ist ein Nachbau des einstmals größten Observatoriums Europas.
Johann Hieronymus Schroeter, Oberamtmann in Lilienthal, schuf das Spiegelteleskop um 1793. Schroeter machte sich international einen Namen als Astronom. Nun noch über die Wümme, eine der längsten der vielen Brücken auf dieser Route, und man ist wieder im Land Bremen.
Tipps, Links, Praktisches:
Anreise: Mit dem Zug bis zum Bremer Hauptbahnhof. Mit dem Auto ist man zum Beispiel ab Berlin rund viereinhalb, ab Frankfurt/Main gut fünf Stunden unterwegs. In Bahnhofsnähe gibt es Parkhäuser.
Fahrräder: Wer nicht mit dem eigenen Fahrrad oder E-Bike anreist, kann Leihräder etwa bei Myfiets am Hauptbahnhof (www.myfiets.de) oder Witt-Rad in der Neustadt (www.witt-rad.de; mit Hol- und Bringservice) bekommen.
Die Tour: Die Worpswede-Runde ist 62,4 Kilometer lang, verläuft über 23 Brücken und weitgehend flach. Entlang der Strecke gibt es mehrere Einkehrmöglichkeiten. Weitere Infos sowie gpx- und KML-Dateien für Navis finden sich auf den Seiten von Bremen-Tourismus (dpaq.de/o1yXu82).
Öffnungszeiten: Das Künstlerdorf Worpswede hat ganzjährig geöffnet (www.worpswede.de).
Weitere Auskünfte: www.worpswede-touristik.de; dpaq.de/ZzHh9Xx;
Social Media: www.instagram.com/meinworpswede (dpa/ml)